RSS-Feed anzeigen

Fußball und wie ich ihn zum Teil erlebe... Eindrücke aus dem Fußballleben und von einen Torwarttrainer

Das Ende

Bewerten
Es ist still.
Leise klicken die Karabiner im Stahlseil und ebenso leise ist das Ratschen der Aluminiumteile über den verdrillten Edelstahl.
Vor einem die Kluft, kaum 12 Meter breit, aber gut 400 Meter tief, gähend, man erkennt die Boden kaum. Nur drei, nicht ganz 20 cm breite Holzbohlen überspannen den Abgrund ins Nichts...
Der Karabiner klickt sich ein und man geht über das Holz auf die andere Seite... amn bleibt aber auch stehen und blickt schaudern in den Abgrund... der aufwind erfasst einen und spielt mit den Haaren. Gähnend leer. Gedanken machen sich breit, wie das wohl ist, wenn man nun abstürzt... ungesichert... was fühlt man da? Spürt man den Schmerz?
Viele denken, man wird ohnmächtig, doch kein Fallschirmspringer wird ohnmächtig, er springt und bleibt am Leben, er verliert nicht das Bewußtsein - auch nicht nach 1000 Meter freiem Fall... hier sind es nur 400... ein Hochhaus hat oft nur 100 Meter, ein Turm nur 50 Meter... dennoch, es reicht.
Der gähnende Schlund, er ist, was viele, viele anzieht. Nicht immer istz es der gähnende Schlund...

Tack-Tack, Tack-Tack die eisernen Räder rollen über den Schienenstoß der letzten Weiche, das leise surren des Elektromotors beschleunigt den Zug mühelos von 20 auf über 100 Sachen. Die Stahlbänder mit den Holzbohlen zwischen sich verschwinden unter dem Fahrzeug. Die Wand aus Wald und Stein kommt näher und der schwarze Schlund des Tunnels öffnet sich mehr und mehr, wie ein riesiges Ungeheuer welches gähnt. Mit einem Stoß und dem Geräusch gepresster Luft rast der Zug in den Tunnel, auch am Tage umgibt einen völlige Finsternis, es ist wie ein Raumschiff, welches durch die Nacht des Hyperraumes gleitet, nur die Armaturen auf dem Führerpult verbreiten ein gespenstisches Licht... und doch, in der Ferne ein Lichtpunkt, der immer größer wird. Das Tunnelmaul ins Tageslicht, es ist wie die Öffnung in eine andere Dimension.
Ein Ort des Schreckens... denn dies sind die Punkte... geblendet vom Licht sieht man nicht, der Schatten auf den Gleisen... es sind über 600 Meter Bremsweg.. wenn man es erkennt, ist es schon zu spät. Egal wie, man kann nicht anhalten, man schafft es nicht, denn die Masse von über 200 Tonnen trägt einen vorwärts, auch wenn alles anhalten will und die Luft mit aller Gewalt die Achsen zwingt.. es geht nicht, es reicht nicht...

Der Effekt, es ist der Gleiche. Es bildet sich ein Brei aus Fleisch und Knochen, bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Ein Anblick, den man nur beim Fleischer erfährt, wenn dieser große Stücke in den Schnetzler wirft. Doch hier sind keine Flüssigkeiten dabei... große Flecken, rund 6 Liter rote, klebriges Flüssigkeit und kleinere Mengen anderer Flüssigkeit können kleinste Teile weit verteilen. Da hilft kein Besen, kein Scheibenwischer...
Es ist, als hätte es einen Körper von innen zerrissen, beschreiben viele den Anblick.
Noch Tage später finden Reinigungskräfte und Werkstattpersonale am und unter dem Fahrzeug der Eisenbahn kleine Reste, dem Fahrzeug haftet Wochen, ja Monate der Geruch von Tod und Vergänglöichkeit an, Erinnerungen, die die Nase wahrnimmt.
Noch Monate später auf den Steinplatten ist der Fleck zu erkennen, der die Erinnerung in sich trägt... Erinnerungen, die das auge wahrnimmt...

Erinnerungen an einen Menschen.

Wir wissen oft nicht, WER die Person war, noch kennen wir die Beweggründe. Selbstmörder... Wobei Mörder ein sehr dramatischer Begriff ist, Lebesmüde umschreibt es besser.
Denn just das sind diese Leute. Des Lebens müde.
Wir verstehen es nicht und in unserem Kopf tauchen immer die Bilder auf, wo der heroische Held dem Lebensmüden auf dem Dach begegnet, gut zu redet und überzeugt, es nicht zu tun.
Doch, es sind die Ausnahmen!
In Japan gibt es sogar einen Wald. Sein Betreten ist verboten und doch, es tun viele. Die letzen Stunden verbringen diese Abseits der Gesellschaft, verborgen mit sich und der Müdigkeit, der Müdigkeit, die das Leben in ihnen auslöst.
Viele geben sich dann der Müdigkeit hin... in Japan ist es oft ein Strick, oder schlicht pharmazeutische Produkte... Alkohol hilft, betäubt und macht Mut.

Mut... Mut für den letzten Schritt. Ihr erinnert Euch an die Brücke zu Anfang.. es ist nur ein Schritt, der einen solchen Menschen trennt.. nur ein Schritt!
Kletterwald Blomberg, Bad Tölz... man beschreitet die Planke hängt sich ein... und dann? Dann muss er folgen, der eine Schritt. Der Schritt ins Nichts.
Das Herz, es schlägt bis zum Hals, die Hände klammern sich an Seil und Haken, denn es ist nichts da, was einem Halt gibt...
Der Schritt ins Leere, der Moment des Tuns, der Moment des Mutes.. man tut es, ein Ruck und hängt in der Sicherung, gleitet langsam gebremst und sicher zu Boden.
Der letzte Schritt des Lebensmüden ist anders.. seine Hände fassen kein Seil, fassen keinen Haken.. er ist völlig frei. Er steht an der Kante und hört die Stimme aus der Tiefe, die mit dem Wind nach oben getragen wird: "komm!" - "trau dich!" - "tu es!"

Sicherlich fragt Ihr Euch, warum ich es schreibe... nun, ich will das Ihr versteht, daß Ihr begreift, daß was Hollywood euch zeigt, so nicht funktionieren kann und wird.
Denn wenn der Mutlose dort oben steht, so hat er den Entschluss gefasst und seinen letzten, allerletzten Mut zusammen genommen. Er wird es tun. Er ist wie in Trance und nicht er selbst.
Unten findet man denn den Körper, oder vielmehr, was einst ein Körper war... oben fein säuberlich stehen Schuhe und die Wäsche liegt gefaltet daneben. So wie er in die Welt ging, hat er diese Welt verlassen - als Mensch, nackt und wehrlos.
Versteht Ihr das Signal? Ein Mensch betritt diese Welt nackt und verläßt diese Welt nackt... aber er ist nicht nackt zu dem Ort des Gehens gelangt, sondern er hat sich darauf vorbereitet, seine wenigen Dinge noch gerichtet, ordentlich. Er läßt sich in diesen letzten Stunden nichts nachsagen. Er wirft seine Klamotten nicht einfach in die Ecke, nein. Er hat sich dieser entledigt, diese gefaltet und zurecht gelegt.
Es ist wie das Ablegen einer alten Haut, das Ablegen alter Gepflogenheiten.. Er hat abgeschlossen. Die Kleidung als Zeichen des Endes im Diesseits. Er hat Gesellschaft und Stil abgelegt. Aber nicht achtlos, nein... sondern mit Würde und Respekt.
Dann ist er gegangen, endgültig.
Nein, er war kein Feigling, sondern er hatte den Mut des Mutlosen, den Mut des Hoffnungslosen. Er kannte keinen Ausweg mehr und bei vielen, seit Euch sicher, ging ein wahrhaft unmenschlicher Kampf voraus. Geprägt von Vorstößen, Rückzug, Zerschlagung, Flucht und dann Kampf um das reine Überleben - bis zum Schluss. Dann war keine Munition mehr da, alle Schwerter zerbrochen, kein Stab, kein Messer, nichts.. vielleicht warf er unter Tränen noch mit Dreck nach seinem Peniger/Angreifer, doch dann.. dann warf er sich in dessen Arme und erkannte für sich selbst, daß es so endgültig und das Beste ist. Schluss mit der Pein, Schluss mit der Sinnlosigkeit des Kampfes, Schluss mit Verstellung... einfach Schluss.
In Japan hatte die Selbstentleibung am Ende der Sengoku Periode und in der folgenden Edo Zeit seinen Höhepunkt. Sepuku nannte man diese Sache, dem Westler eher als Harakiri bekannt. Sepuku heißt Selbstopferung, Harakiri schlicht Bauch(auf-)schneiden. Letzteres ist ungefähr eher zu vergleichen, mit einer unwürdigen Art und Weise aus dem Leben zu scheiden. Schlicht Harakiri ist eine Form des Selbstmords, die keinen Beifall findet, noch wirklich die Dinge ändert.
Wenn wir also heute von Harakiri reden, dann meinen wir die Sinnlosigkeit eines solchen Risikounterfangens. Sepuku hingegen war eherenhaft. Denn der Selbstentleibende war in Ungnade gefallen, und damit Freunde und Verwandte nicht unter seiner Schuld leiden oder in Unehre leben müssen, gemieden von der Gesellschaft und ausgestoßen vom täglichen Leben, nahm er sich unter Augen zahlreicher Zeugen das Leben.
Weltbekannt ist die rituelle Selbstentleibung der 47 Ronin, die obwohl es verboten war, Rache an einer Ungerechtigkeit nahmen und so Gerechtigkeit wieder herstellten. Doch ihre Tat war ein so gesellschaftlicher Verstoß, daß Ihnen keine Wahl blieb... der jüngste, der am Ende tapfer seinen Kameraden enthauptete, als dessen Körper vor Schmerz sich nach vorn krümmte, wurde dann vom Fürsten begnadigt... er hatte stoisch mit angesehen, wie 46 seiner Kameraden sich selbst das Leben nahmen und einer dem anderen den Kopf abschlug und in ein Tuch wickelte. Ebenso hatte er dies bei seinem Kameraden getan, und das Schwert gut und sauber geführt, den richtigen Moment getroffen und damit dem Toten alle Ehre erwiesen und war danach bereit gewesen, auch ohne Hilfe sich zu opfern - so daß der Fürst gerührt war und das Opfer versagte, die Ehre aber auch wieder herstellte.
Man sprich heute von 47 Ronin, herrenlosen Soldaten, die durch einen Mord Rache am Mord ihres Herren nahmen, einen Verrat bloß stellten, sich dafür aber dann auch opferten. Der Japaner sprich davon leise und mit Hochachtung, weil diese Menschen nicht Harakiri begingen, sondern sich selbst opferten, dafür die Ehre der eigenen Familie, die Ehre des ermordeten Fürsten und auch den Schutz des obsten Fürsten bis in den Tod wahrten. Sie gelten als Symbol bedingungsloser Hingabe und Aufopferung.
Wir würden einen Selbstmörder NIE mit diesen Attributen klennzeichnen, bei uns wären diese 47 am Leben und Helden. Doch Japan ist anders... wie anders, zeigt sich heute im Wald.
Sepuku ist heute verboten... trotzdem, die Menschen suchen den Wald auf, um sich das Leben zu nehmen. Sie wissen, daß es verboten ist, viele aber würden es gern öffentlich machen. Sie protestieren damit auch gegen bestimmte Dinge, dürfen es aber nicht mehr.
Nach dem Krieg gegen die USA entleibten sich viele Anhänger der Regierung öffentlich, weil diese es als unehrenhaft empfanden, von den USA besetzt zu sein und dann auch von der Regierung als Schade empfangen zu haben, daß diese sich ergab. Lieber im Kampf sterben, als Held.. als schändlich wie ein Feigling die Waffen zu strecken. Das war Japan.
Daraus resultierte das Verbot, trotzdem kam und kommt es heute immer noch vor, daß solche Entleibungen statt finden, oder sich Menschen mit einer Art Protestbrief selbst umbringen - damit ein Zeichen setzen wollen.
Doch viele gehen einfach in den Wald - und diese unterscheidet nichts mehr wirklich von den Lebensmüden, die in Europa oder den USA existieren.
Sie suchen dort im Wald nach dem letzten Stück Mut, nach dem letzten Schritt, denn es ist unnatürlich und kostet imense Überwindung, sich selbst zu hinzurichten - schlicht es braucht Mut.

Es ist nicht lang, und der Todestag von Robert Enke jährt sich erneut... wisst ihr oder könnt Ihr erahnen, wie tief dunkel es in diesem Moment war?
Keiner von uns wird je auch nur im Bruchteil die Gründe nachvollziehen können, daß ist auch nicht wichtig, aber bedenkt, daß er Mut hatte. Den allerletzten Mut. Es ist schon Mutig, einem Stürmer entgegen zu treten und sich dann als Deckung einfach abschießen zu lassen, doch es kostet umso mehr Mut, sich dem Zug entgegen zu stellen und stehen zu bleiben.
Er hatte diesen Mut, an diesem Abend, in dieser Nacht. Sicherlich, und so denke ich, es war wahrscheinlich keine normale Kurzschlussreaktion, sondern die Entscheidung es zu tun, vielleicht nicht jetzt, heute, morgen oder die nächsten Tage, sondern irgendwann, der fasste sich in seinbem Kopf. Er fand eben nur nicht den Mut, es gleich zu tun - er hoffte noch, er kämpfte noch - er war noch stark.
Doch dann war es soweit. Vielleicht war er einfach völlig aufgelöst, völlig entkräftet und des Kampfes müde, vielleicht hat er einen schweren Treffer hinnehmen müssen und ist daher nicht wieder aufgestaden sondern endgültig liegen geblieben.
Egal, wie auch immer - er faste dann den letzten Mut, das war er sich für genau diesen Moment angespart hatte - er hat sicherlich diese Stelle schon öfters besucht und ist sicherlich auch diese Stelle ab und an schon vorher gewesen. Doch nun war er da... der Moment. Er wußte genau wann der Zug kam, kannte die Stelle wo es passieren würde. Er fuhr dorthin, richtete seinen letzen Moment und ging dann dorthin, wo er der Überzeugung war, daß es gelingen muss.
Und so war es auch...

Das unterscheidet Enke von anderen! Enke wollte, wie viele andere auch. Er wollte nicht gefunden werden, wollte nicht gerettet werden - er wollte es beenden.
Viele beenden nicht, sondern es ist ein lautloser Schrei nach Hilfe. Sie werden gefunden, gerettet und der Schrei ist erhört, doch finden sich danach viele in der gleichen Mühle wieder. Doch sie sind unter Kontrolle, werden überacht und ggf. betäubt. Sie sterben innerlich und irgendwann sind diese tot, leben nur noch in einer Welt aus Betäubungsmitteln und Angstzuständen.
Nur wenige werden wirklich gerettet.
Andere, nehmen den zweiten Anlauf, diesmal nicht als Schrei, sondern als Ausgang - endgültig.
Der Wille es endgültig zu tun unterscheidet viele. Der endgültige Wille offenbart sich in der klaren Absicht, einem Ausblenden anderer Dinge und dem klaren Fokus. Ja, es äussert sich in klarer Vorbereitung, dem Abwägen der Umstände, der Wahl der für sich passenden Art und Weise und natürlich dann der Planung des Moments.

Es erfolgt eine Abschottung nach aussen. Die Gesellschaft merkt es auch nicht... Sie tragen eine Maske bis zu dem Moment, wo es passiert... Endgültig.
Es bleibt das "Warum?" zurück!

Aktualisiert: 12.09.2014 um 13:41 von Steffen

Kategorien
Gedanken , Gedanken und Erlebnisse

Kommentare

  1. Avatar von ryx0riz0r
    Sehr schön geschrieben und doch so traurig...
  2. Avatar von debunix
    Der gute Mann war nicht mutig, sondern krank. Eine sehr tragische und tückische Krankheit.

    Ich weigere mich dennoch, eine Selbsttötung (auch nicht ganz korrekt) als mutig anzusehen.
    Hier war eine Familie mit im Spiel, ein Zugführer (ja, auch an die sollte man mal denken, wenn man sich schon nicht selbst richten kann) und ein Mann, der mit dem Rest nicht mehr klar kam.

    Man kann sich fragen, warum - das hilft nur meistens nicht weiter, da es immer Einzelschicksale sind, aber Mut!?

    Wenn, dann einfach nur Verzweiflung!
  3. Avatar von Steffen
    Zitat Zitat von debunix
    aber Mut!?
    Oh ja... das kannst Du ruhig glauben. Es klingt widersinnig, aber es ist so.
    Da mag es verschiedene Ansicht geben,. doch letztendlich - viele stimmen da, auch wenn man leider schreiben muss, zu.

    Wenn, dann einfach nur Verzweiflung!
    Ja, aber Verzweiflung kann sich unterscheidlich äussern, es muss nicht immer in einer Selbsttötung enden.
    Es gibt genug Menschen, die verschwindne, machen einen totalen Reset - und leben dann irgendwo in einem anderen Land plötzlich als jemand ganz anderes weiter... Sie lassen nur eine Identität sterben, nicht aber den Mensch wirklich.
    Und auch dafür muss ein Mensch völlig verzweifelt sein - nur diesem gelingt irgendwo die Flucht, vor allem auch vor sich selbst.