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nik1904

Aktive und passive Protektion. Was macht Sinn, was nicht?

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Inspiriert durch einen Thread, in dem es um die Zweckmäßigkeit eines Mundschutzes geht, erscheint es sinnvoll, sich mit dem Thema Protektion intensiver auseinanderzusetzen. Eines vorweg: Sinnvoll ist jede Protektion, die Verletzungen vermeidet! Die Frage ist leider nicht, was alles möglich ist, sondern welche Grenzen die Anforderungen des Torwartspiels dem passiven Schutz setzen.

Verglichen mit meinen Anfängen als Torwart in der D-Jugend sind wir heute mit Neopren, Silikon sowie anderen Dämpfungsstoffen oder Kevlar Lichtjahre von den früheren Möglichkeiten entfernt. Durchaus erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Sportbekleidung, die durch moderne Kunstfasern in neue Dimensionen vorgestoßen ist. Wer mal auf Asche bei 40 Grad im Schatten mit voller Montur aus hauptsächlich Baumwolle 90 Minuten plus Einspielzeit verbracht hat, dabei auch noch richtig gefordert wurde und mangels Ausweichmöglichkeit der Körperwärme Kribbeln an der Kopfhaut verspürte, der weiß die Produkte von z.B. Adidas (ClimaCool) oder Under Armour (Heatgear) wahrlich zu schätzen. Da es kein gesponserter PR-Beitrag ist, sei erwähnt, dass auch viele andere Hersteller gute Produkte haben. Auch dieser Aspekt ist Protektion. Sei es für Herz-Kreislauf oder Muskulatur.

Was trage ich in Training und Spiel? Zunächst sei angemerkt, dass ich nach zig Jahren hauptsächlich auf Asche mittlerweile auf Kunstrasen spiele. Der Körper hat also schon einiges mitgemacht. Ich bin zwar athletisch, aber mit 81 kg auf 1,90 m nicht gerade ein Schwergewicht. Gelenke und Knochen sind weder durch üppige Fettreserven noch Muskelberge geschützt. Die Torwartausbildung war rein vom Gedanken getrieben, möglichst viele Bälle zu halten. Schutz vor Verletzungen war mehr dem Überlebensinstinkt überlassen, denn dass es einem didaktischen Anspruch gerecht geworden wäre, die Torwartechniken perfekt zu vermitteln. Ich bin schon ein richtig Guter für Kreisligaverhältnisse und hatte im Laufe der Jahre wohl an die 100 Wechselangebote hoch bis zur Landesliga. Doch angesichts dessen, was hier im Forum an Erkenntnissen zum Abrollen, zu Wendetechniken etc. zu lesen ist, war mein Training geradezu vorrevolutionär. Da wurde ich als 14jähriger gerne mal zu Situps mit Medizinbällen animiert, was laut Meinung meines Orthopäden schon die ersten Grundlagen für meinen späteren Bandscheibenvorfall gelegt haben dürfte. Asche, nicht bis zum Ende ausgefeilte Falltechnik, eine Menge Körperkontakt und die ein oder andere (und idiotischerweise nicht ausgeheilte) Verletzung haben Spuren hinterlassen, die mit den Protektionsmöglichkeiten von heute vielleicht geringer ausgefallen wären.

Fangen wir mal auf der Haut an: Je nach Wetter die entsprechende Unterwäsche von Adidas und Under Armour, Adidas-TW-Unterziehshirt, eine Rehband-Neopren-Torwarthose, McDavid-Ellbogenschützer (nur noch dünne auf Kunstrasen, aber notwendig wegen Neigung zu Schleimbeutelentzündungen aus goldenen Aschezeiten), Handgelenkbandagen von Bort (teils prophylaktisch, teils, weil ich eine enge Manschette des Handschuhs mag), beidseits Tape an kleinem Finger und Zeigefinger (nach fachmännischer Einweisung, versteht sich!). Kniebandage links (muss nicht zwingend sein, ist aber wegen Meniskusanriss vor einigen Jahren und leichter Patella-Displasie als Prophylaxe sinnvoll), Schienbeinschoner, beidseits Achillessehnen/Knöchelbandage, Stutzen. Und wenn der Rücken zickt oder wie jetzt bei Minusgraden trainiert wird, trage ich eine spezielle Sport-Rückenbandage von Rehband. Im Training nehme ich bei kälterem Wetter einen Adidas Sereno-Overall, bei dem ich die Beine auf 3/4 gekürzt habe oder eine Reusch 3/4-Hose und Shirt. Gerne ziehe ich bei feuchtem Wetter eine Regenjacke an. Im Spiel trage ich eine ungepolsterte kurze Hose und Trikot. Ich bin kürzlich vom Fingerschutz zu einem normalen Modell zurückgekehrt, was einer Revolution gleichkam. Das animiert mich, mit ständigem Feilen an der Technik noch die ein oder andere Protektion sukzessive abzubauen.

Auf Asche kommt entweder der Reusch Highbury-Overall oder eine lange Adidas Tierro zum Einsatz. Dann kommt der Tüftler zum Vorschein: Sei es im Job beim Texten und konzeptionell, beim Handwerken oder beim "Verfeinern" von Torwartsachen - ich bin kreativ und ideenreich. So habe ich mir Knie- und Armschoner sowie Unterziehhose so präpariert, dass ich wahlweise nach Härte der Asche die Polsterung per Zusatzpolstern und mit Klettverschlüssen verändern konnte. Das war sinnvoll, denn so verschlechterte ich nicht durch weitere Schichten die Beweglichkeit. In den wenigen Spielen, die wir noch auf Asche haben, kommen die Dinge noch zum Einsatz - gottlob und mittlerweile aus den Tiefen des Fußballschrankes.

Das wäre dem ein oder anderen Leser zu viel? Wo ist die Alternative? Schmerz? Verletzung? Folgeschäden im Alter? Aufhören? Nein, ich lasse mir meinen Schutz lieber etwas kosten und achte durch die für mich optimalen Materialien und Produkte darauf, dass der Schutz ohne Folgen für die Beweglichkeit bleibt. Ich habe außer der Zeit zum Anziehen keine Einschränkungen, ich fühle mich wohl und hatte seit Ewigkeiten keine ernsthaften Probleme mehr. Seit drei oder vier Jahren, also mehr als 100 Pflichtspielen, habe ich ohne eine Fehlminute auf dem Platz gestanden. Als Freiberufler kann ich es mir auch nicht leisten, ständig ein Wehwehchen mit mir rumzuschleppen. Ich habe also den richtigen individuellen Mittelweg gefunden.

Man kann nun sagen, dass jede Protektion subjektiv oder objektiv Sinn ergeben kann. Sei es wegen fehlerhafter Fall- oder Fangtechnik oder wegen Blessuren, zu denen man aufgrund der eigenen Physiologie neigt. Tiefschutz, Kopfschutz, Mundschutz... Ich bin schon jemand, der Protektion sehr ernst nimmt. Doch als Torwart bezweifle ich, dass wir uns gegen alles schützen können - egal was wir anziehen. Man muss vernünftig auf seinen Körper hören, was er braucht. Ein nicht unwesentliches Restrisiko bleibt immer, weil es in der Natur des körperlichen Einsatzes liegt, den wir einbringen müssen, um viele Spielsituationen erfolgreich zu bestehen. Man muss den jeweiligen Nutzen gegen praktische Aspekte, Tragekomfort und Beweglichkeit (sprich die maximale Leistungsfähigkeit) abwägen. Wer das aus Sorge vor Verletzungen nicht möchte, dem sind zwingend Grenzen in der Leistungsfähigkeit gesetzt. So ist nun einmal die schlichte Quintessenz.

Nehmen wir das Beispiel eines Mundschutzes: Wer zweifelt daran, dass das Gesicht und mithin der Mund ein ziemlich gefährdeter Bereich wären?! Übertragen vom Gefühl, eine Beißschiene zu tragen, um "Zähneknirschen" zu verhindern (was ich ein paar Jahre nachts tragen musste) geht das beim Fußball und mit der ganzen Kommunikation, die zwischen Torwart und Feldspielern stattfindet, eigentlich gar nicht - es sei denn, es gäbe eine medizinische Indikation. Mir ergeht es beim Tiefschutz so, dass ich noch keinen Artikel gefunden habe, den ich ohne Probleme im Bewegungsablauf oder ohne unangenehme Folgen für die Haut im Leistenbereich hätte tragen können. Sinn und Zweck dieser Maßnahme würden natürlich auch hier außer Frage stehen, wenn man sich ständig mit dem gesamten Körper Geschossen entgegenwirft, die auch mal mit 100 oder mehr km/h auf einen zurasen. So muss jeder für sich den richtigen Mittelweg finden, wenn der Köper ihm oder ihr wo auch immer zu verstehen gibt, dass Sorge oder Vorsorge notwendig wären.

Und hier kommen wir zum zweiten Aspekt, der eigentlich der erste ist: Der aktive Schutz durch gute Technik und optimales Training. Je intensiver ich mich mit der Materie befasse, je weiter ich mich vorwage in der Analyse und auch auf die Gefahr hin, mal in dieser korrigiert zu werden, je größer das Wissen und je versierter die didaktischen Möglichkeiten werden, desto mehr profitiert selbst meine Technik noch im Spätherbst der Karriere. Körperliche Fitness, qualifizierteres Training, als ich es je hatte, und intensive intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema führen dazu, dass ich ein besserer Torwart bin, als ich je war - und dazu, dass ich so lange verletzungsfrei bin.

Wer als halbwegs diesen Dingen zugetaner Mensch das Torwarttraining in vielen Jugendmannschaften sieht, ist schier entsetzt. Trotz all der Möglichkeiten, die Trainer haben, sich in diesem Bereich fortzubilden, wird kaum einmal wirklich substanziell an sauberer Technik gearbeitet, die zeit der Karriere nicht nur Basis dafür ist, gut zu halten, sondern auch sich zu schützen. Jungen Torhütern sei geraten: Fordert Torwarttraining ein oder sucht Euch im negativen Fall Vereine, die eine gute Torwartausbildung haben. Entwickelt Eure Technik so gut wie möglich, um Verletzungen vorzubeugen. Besucht Camps und wendet Euch an erfahrene und kompetente Torhüter, ob sie bereit sind, Euch zu trainieren. Wenn es gut gemacht ist und idealerweise auch noch per Video eine Fehleranalyse und Kontrolle der Fortschritte stattfindet, dann ist schon eine Einheit pro Monat ein Gewinn. Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass ich mich davon nicht genervt fühle, sondern es genieße, den Jungs ab und an vor dem eigenen Training zu helfen. Sie zahlen es mit Fröhlichkeit, Motivation, Dankbarkeit und großer Unterstützung bei den eigenen Spielen zurück. Was will man mehr?

Diese Notwendigkeit, sich mit dem Torwartspiel auseinanderzusetzen, gilt nicht nur für junge Torhüter, sondern auch für solche im Herbst ihrer Karriere. Sich technisch verbessern zu können und durch optimale Abläufe zum eigenen Schutz beizutragen, ist auch jedem motivierten Keeper jenseits der 30 gegeben. Das muss nicht jeden betreffen, weil die Motivation dafür fehlt. Das ist vollkommen ok. Und viele sind zeitlich gar nicht in der Lage, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Das ändert nichts daran, Spaß am Sport haben zu können. Doch auch hier gilt: Besser ein Mal, als kein Mal. Besser sich für jeden Monat eine technische Baustelle vornehmen, als gar nichts tun. Aktiver Schutz beim Torwartspiel wird durch geringere oder nicht zielstrebige Belastung eher schwächer als stärker!

Warum das alles? Es gibt kein höheres Gut als die Gesundheit. Und es gibt Körper, die bei allem Techniktraining und trotz aller Protektionsmöglichkeiten für den Sport nicht gemacht sind. Da ist womöglich Einsicht in das Unausweichliche gefragt, so schwer das auch ist. Wenn mal irgendwo etwas kaputt geht, ist die einzige Option, die Verletzung auszukurieren. Und wenn es wirklich notwendig oder sinnvoll ist, dann sollte der Preis das geringste Argument sein, sich optimal zu schützen. Für die allermeisten von uns ist nicht der nächste gehaltene Ball das wichtigste in unserem Torwartspiel, sondern den Sport so lange wie möglich ausüben zu können. Und das möglichst mit der Gewissheit, irgendwann Kinder, Enkel und Urenkel noch auf den Arm nehmen zu können...

Vergesst nicht, dass Protektion schützen und Euch nicht entgegen akuter Verletzungen spielfähig machen soll. Es gibt einen bekannten Spruch von Motorradgangs: "Gott vergibt, die Bruderschaft nicht." Das würde man sinnvollerweise auf den Torwart wie folgt übersetzen: "Der Trainer vergibt, der Körper (manchmal) nie."

In diesem Sinne: Bleibt gesund - und vernünftig - und schützt Euch gut und sinnvoll!

Aktualisiert: 28.01.2011 um 21:01 von nik1904

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Kommentare

  1. Avatar von nordseekeeper
    Wow...Klasse Bericht! Hätte aber auch nicht gedacht, dass meine Gebissschutz-Diskussion so eine Welle lostritt^^Aber Wirklich guter Bericht!
  2. Avatar von nik1904
    Na ja, hat mich halt dazu gebracht, mal drüber nachzudenken, was sinnvoll ist und was nicht und wie extrem viele Sachen ich schon ausprobiert habe, bevor ich den idealen Kompromiss für den jeweiligen Untergrund gefunden habe.

    Mir ist gerade erst der ideale Schluss eingefallen, also den vorletzten Absatz bitte noch lesen...
    Aktualisiert: 28.01.2011 um 21:02 von nik1904
  3. Avatar von Mondy
    Ein sehr guter Bericht, gerade ich als ebenfalls vom Ascheplatz Geschädigter kann ein Liedchen zu dem Thema singen ...übrigens gibt es von MC David hervorragende Suspensorien, weil du ja sagtest dass du bisher keinen geeigneten Tiefschutz gefunden hast...diese kann ich dir absolut empfehlen, da klemmt nix und der Schutz ist wirklich optimal!
  4. Avatar von Schnapper82
    Netter Bericht.
    Ich brauche auf Asche meine Rehband Unterziehhose, sowie Knie- und Ellenbogenschoner.
    Darüber eine ungepolsterte Hose und obenrum ein Unterziehshirt von UA und das Trikot.
    Zum Training trage ich meist einen Overall mit den selben Sachen drunter.
    Auf Kunstrasen oder Rasen verzichte ich auf die Knie- und Ellenbogenschoner.