Der Bogenflug und das Hechten - ein Buch mit sieben Siegeln?
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am 24.04.2012 um 16:04 (20666 Hits)
Ich will meinen TW-Trainern in der Jugend keinen zu großen Vorwurf machen. Viele wussten einfach gar nicht, was sie wie trainieren sollen. Sie hatten ihre Erfahrungen als Torwart und gaben sie so gut wie möglich weiter. Vieles war zweifellos sogar gesundheitsschädlich wie die Situps mit Medizinbällen bei fixierten Füßen. Es gab auch weder die entsprechenden Infos oder Materialien, noch das Internet als Info-Plattform, um sich fortzubilden; von modernen sportwissenschaftlichen Erkenntnissen ganz zu schweigen. Mir wurde beidseits Sprungkraft antrainiert, wenn ich auch bereits von der Sprint- und Sprung-Veranlagung her ganz gut damit ausgestattet bin. Was fehlte, waren z.B. die Grundlagen des Bogenflugs und erst recht auf beiden Seiten. Ball erreichen war das Hauptziel der Veranstaltung und nicht das "wie". Links ist es bei mir aufgrund der natürlichen Veranlagung als Rechtsfüßler mehr eine Frage des Talents gewesen, dass ich das sehr gut durchführen konnte. Entsprechend effektiv war ich dort. Rechts sah die Sache anders aus und ich wurschtelte Zeit meiner Karriere (und erst recht nach einer mehrjährigen Pause nach dem ersten Jahr A-Jugend) herum. Absprung, Körperstreckung und den Ball irgendwie wegkratzen - mehr war es nicht. Schmerzhaft – und vor allem auf Asche – geriet der Versuch, bei voller Streckung den Ball zu fangen.
Wie also kann ein Training aussehen, das schon sehr junge, vor allem aber bereits "vorgeprägte" Torhüter auf ein zumindest befriedigendes technisches Level bringt? Eine Geschichte hierzu: Wir waren Ostern beim Familienspaziergang auf einem Spielplatz. Meine vierjährige Tochter sprang mit Wonne und mehrfach von einem etwa 1,30 hohen Gerüst in den Sand und rollte sich instinktiv ab - und zwar als Rechtsfüßler ganz automatisch nach links. Bemerkenswert war zwar auch der Umstand, dass mein Vater vollkommen begeistert war, und mir sagte, ich sei genauso "bekloppt" gewesen in dem Alter und wäre über alles und von allem gesprungen, was so in der Gegend herumstand. Es liegt irgendwie in den Genen.
Doch abseits meiner kindlichen Vorprägung ist mir der Hinweis wichtig, dass Fallen und Abrollen bei einem gewissen sportlichen Talent ganz normale instinktive Abläufe sind. Der Torwarttrainer muss auch dann noch detailverliebt den Ablauf beibringen. Aber je früher ich einem Kind das Gefühl dafür vermittele, dass es auch wie selbstverständlich auf der "unnatürlichen" Seite abrollen kann, desto natürlicher wird es. Die Videos der „Blauen Mauer“ zum Bogenflug und Hechten von Steffen zeigen, wie gut das funktioniert.
Was machen wir bei älteren Torhütern? Je nach technischer Grundausbildung und Zeit, die er oder sie schon Fußball spielt, auch ein 16jähriger Torwart schon alt im Sinne einer eingefahrenen Technik. Eines geht zum Glück nie verloren: Der Instinkt. Es geht gar nicht darum, etwas vollkommen auf den Kopf zu stellen, sondern lediglich die Veranlagung intelligent zu nutzen und die Sperren zu beseitigen, die den Ablauf auf der schlechteren Seite hemmen.
Entscheidend ist dann nicht das Alter. Der Grundsatz "je jünger, desto lernfähiger" ist im Sport nicht wegzudiskutieren, doch "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr" ist Unfug. Logischerweise nimmt die Lernfähigkeit mit zunehmendem Alter ab. Bei guter physischer Verfassung geht sie nicht verloren. Es wird schwieriger, aber noch lange nicht unmöglich.
Problemanalyse: Die falsche Technik beim Hechten auf einer Seite beruht auf drei wichtigen Säulen, die alle umgestoßen werden müssen. Wobei das Prinzip gilt, dass eine korrekte Ausführung immer bedingt, dass die Bewegungsauslösung korrekt ist:
1. Absprung: Da wir im Zweifel darüber sprechen, dass das Absprungbein nicht das natürliche Sprungbein ist, sind Absprungtechnik und Kraft vergleichsweise schlecht ausgeprägt. Hinzu kommt der Abdruck weniger über den Vorderfuß, sondern unsauber, weil Knie und Hüfte nicht über den Fuß kommen und somit obendrein Sprungkraft verschenkt wird. Ziel muss also sein, die Sprungkraft an das Sprungbein anzugleichen und einen nach vorn-oben gerichteten Absprung sauber über den Vorderfuß anzutrainieren. Damit katapultiert sich der Torwart in die Position, um die Hüfte hoch genug zu haben für eine „stabile Fluglage“.
2. Dynamik: Der unsaubere und weniger kraftvolle Absprung führt dazu, dass dem TW die Dynamik im Sprung verloren geht. Wenn man so will: Die Energie baut sich ab und der Torwart ist unfähig, im Sprung aktiv zu bleiben. Folge ist lediglich eine Streckung zum Ball, die der TW erst recht im extremen Bereich nicht mehr beibehalten kann. Die Beine arbeiten im Sprung zudem nicht mit, um aktiv die Flugkurve zu verlängern und zu stützen. So sackt die Hüfte nach unten durch, der Weg zum Ball wird länger und mangels Körperspannung kann der Ball nicht mehr kontrolliert gefangen oder abgewehrt werden.
3. Landung: Aus dieser Streckung heraus, die oft noch nicht einmal ein echter Sprung ist, ist es dem TW unmöglich, von oben mit den Händen zuerst auf den Boden zu kommen. Denn dazu müsste seine Hüfte im Flug eine Kurve nach oben beschreiben anstatt eine (höchstens) gerade Linie – wenn denn überhaupt ein echter Flug vorhanden ist. Je weniger diese Kurve nach oben vorhanden ist, desto weniger kann der Torwart die Energie des Fallens durch Abrollen abbauen. Denn er fällt quasi in umgekehrter Folge mit Knie, Hüfte, Arm und schließlich Schulter auf den Boden. Das geht auch den Besten so, die aber in der Lage sind, viel Dynamik in die Streckung zu legen und so nicht regelrecht herunter zu plumpsen:
http://www.youtube.com/watch?v=OpiAFoaJyvE
Fehlerkorrektur: Das vorrangige Ziel ist zunächst, instinktive und bei fehlender Korrektur auch antrainierte Blockaden zu lösen und als Folge einen wenigstens verbesserten Bewegungsablauf zu erzielen. Eine solche Verbesserung besteht schon darin, dass der TW in der Lage ist, genug Sprungkraft und Dynamik einzusetzen, um die Körperstreckung sehr lange beizubehalten. Da reden wir noch nicht mal von Bogenflug, Übergreifen oder Abrollen. Auch hier der Verweis auf das Neuer-Video.
Die Blockade entsteht daraus, dass man sich beim Sprung nach rechts (in meinem Fall) nicht wohl fühlt, weil er unnatürlich anmutet bzw. weil man schon mal negative, sprich schmerzhafte, Erfahrungen gemacht hat.
Sinnvoll erscheint mir daher ein Blick auf die Didaktik bei der Hechttechnik, so wie das hier erklärt ist:
http://www.youtube.com/watch?v=-g4V8-B9Pog&feature=player_embedded
Der große Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass man sehr behutsam und Step by Step mit Torhütern jeden (!) Alters die Blockade lösen kann, die uns instinktiv dazu bringt, eine Schutzhaltung einzunehmen, der der gesamte Bewegungsablauf untergeordnet wird. Außerdem ist der gehemmte Bewegungsablauf, wie gesagt, Folge geringerer Sprungkraft und weniger automatisiert bzw. instinktiv. Beides zu beheben kostet Zeit und jeder Teil der Bewegung bzw. des Aufbaus sollte so lange trainiert werden, bis es passt und bevor der nächste Teil angegangen wird. Je weicher der Untergrund desto besser. Die Sandgrube sollte ein ständiger Begleiter dieses Prozesses sein, zumal dadurch die Problematik mangelnder Sprungkraft sozusagen nebenbei angegangen wird.
Vor allem rechts hätte es bei mir eines Trainings bedurft, das auf technischer Kompetenz und sinnvollen didaktischen Vorgaben beruht. So kämpfe ich auch heute im hohen Torwart-Alter mit der "schlechten" Seite. Immerhin bin ich so weit, dass ich unten so gut wie überhaupt keine Schokoladenseite mehr habe. Bei hohen Schüssen sieht es leider anders aus. Ich verbessere mich, was nicht zuletzt der intensiven intellektuellen Auseinandersetzung mit der Thematik und einer sehr guten Fitness zu verdanken ist. Doch es ist aufgrund der Vorprägung eine zähe Geschichte, insbesondere im Spiel diese Dinge umzusetzen. Und es ist auch ab und an deprimierend, weil der Rückfall schnell kommt, wenn ich nicht ständig daran arbeite.
Ich möchte hier eine technische Thematik näher beleuchten, die anscheinend vom E-Jugendtorwart bis zum Nationaltorhüter Probleme verursacht. Ausgehend von den Beobachtungen im Profibereich bis hin zu Torhütern in der Kreisliga und im Jugendbereich dürfte das Phänomen der „schlechten Seite“ und der diesbezüglich fehlenden Technik bei 99 % der Torhüter vorhanden sein. Das ist ein bedenkenswertes Ergebnis, obwohl wir uns doch rühmen, die beste Torwartausbildung weltweit zu haben. Vielleicht hilft dieser Beitrag, ein wenig Aufklärung zu betreiben und intelligent an Bogenflug und Landung zu arbeiten.
Wenn Inhalte sportwissenschaftlich falsch sind, so bitte ich um unbarmherzige Richtigstellung.