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Fußball und wie ich ihn zum Teil erlebe... Eindrücke aus dem Fußballleben und von einen Torwarttrainer

Fussball - oder warum ich Länderspiele nicht gern im Pulk schaue

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Es ist Weltmeisterschaft - Ausnahmezustand in Deutschland. Einige tausend Menschen, die vorher it Fussball nichts am Hut hatten, fiebern nun auch im Duell von zwei mal 11 Spielern um die runde Plastekugel mit. Menschen, deren Kenntnis des Spiels zum Teil so lau ist, daß man diese vielleicht besser hätte mit einem F-Jugend Vorspiel beginnen lassen sollen, bevor man diese auf die große Welt des komplexen Ballsports losläßt. Sei es drum.
Wieder andere entdecken gerade hier die Geselligkeit. Man sitzt zusammen, isst eine Kleinigkeit, was jedoch meist passiert ist, daß man ein oder zwei, wahrscheinlich auch mehr Kleinigkeiten trinkt... "Toor" wird nicht mehr gejubelt, sondern später mehr gelallt... Sei es drum.
Ich persönlich bin ja nun mit dem Fussball doch ein wenig mehr verbunden. Okay, ich bin kein richtiger Fussballtrainer und ich gebe zu: Nein, das könnte ich auch gar nicht. Hut ab vor meinem Trainer, denn allein die Aufstellung, die Zuordnung von Spieler zu Gegenspieler, die Strategie und dann die richtige Taktik... nein, geht gar nicht.
Zudem: Bei vielen Spielen bin ich am Rande eh ein Nervenbündel. Ich würde gern so oft reinspringen und mitmischen... Einsicht, daß ich eigentlich nur weiß wie, es aber selbst nicht besser machen könnte, bewahrt mich vor diesem Leichtsinn - aber zumindest würde dies dieser Unruhe und inneren Aufgewühltheit deutlich entgegen wirken. Gerade wenn mal so wieder Getümmel vor dem Tor ist, mein Torwart gefragt ist, nein, daß ist alles, aber irgendwo eine Qual für mich.

Und nun stelle man sich vor, wo ich schon bei Spielen meiner eigenen Mannschaft nervlich so belastet bin, bei solchen emotionellen Momenten wie ein Länderspiel in einem Pulk.
Menschen, die vorher lieber Eishockey geschaut haben und dort eine Dauerkarte haben, die mit Fussball so viel am Hut haben, wie ein Norddeutsches Weiderind mit Balettunterricht, schicken sich nun an, im Pulk Fussball zu schauen.
Da werden Fähnchen geschwenkt und die gute Frau des Hauses verbreitet künstliche Stimmung. Nicht nur, daß diese gerade jetzt ausschließlich Spaß am Fussball hat, nein, sie hat sich die Deutschland Blumen Bola umgehängt, trägt ein Deutschland Trikot und hat sich die schwarz-rot-güldene Wangenschminke aufgetragen... So gibt es typisch Deutsch auch nur Weißwurst mit Brez'n und gutes bayrisches Bier - ich frage mich, ob nur in Bayern guter Fussball gespielt wird - aber letzteres vom Partyfass in rauen Mengen.
Und nun sitzen diese Leute vor dem TV. Allein die Diskussion um die Aufstellung. Nicht einmal einige Boulevard Zeitungen schaffen es, so niedrig zu gehen... Zur Nationalhymne springen alle auf, einige sogar die Hand auf's Herz und demonstrieren feierlich, wie das geht....
Anpfiff, der Horror beginnt... Ein Spieler macht das Bein länger um den Ball zu erhaschen, der Deutsche fädelt geschickt ein und fällt. Eine Bagatelle, etwas was auf Millionen Sportplätzen vorkommt, nicht wildes. Der Pulk sieht es anders. Einige springen sogar vor Entsetzen dieser Ungeheuerlichkeit auf, andere rufen sofort aufgrund der offensichtlichen Tätlichkeit nach der roten Karte... Das der deutsche Spieler längt wieder steht, seine Position einnimmt und geschickt diese Situation irgendwie auch herbei geführt hat, daß nimmt niemand zu Kenntnis.
Gleiches auf der anderen Seite, auch hier der Pfiff - klar, der muss kommen, nichts wildes. Typisch taktisches Foul um den Spielfluss des Gegners zu stören, da kommen wieder die Rufe aus dem Pulk wegen des Schauspielers, der über die eigenen Füsse gefallen sei und die Diskussionen um den Schiedrichter, der wohl aus dem Blindenheim entsprungen sei, sind im vollen Gange.
Natürlich, man spricht mich als vermeintlichen Mit-Experten an und fragt nach meiner Meinung, die wenn ich diese ausspräche ja einem Landesverrat nahe käme.
Also redet man sich raus, konzentriert sich auf das Spiel, zum Glück. Chance für Deutschland, aber der Stürmer kommt nicht richtig mit dem Span hinter den Ball und verzieht um über 10 Meter. Natürlich, die Gruppe ist anderer Meinung. Ultraknapp am Tor vorbei, eine Großchance. Der Ball, der in er Zeitlupe gut sichtbar etwas 10 bis 15 Meter am Tor vorbei geflogen ist, wird in den Gesprächen näher und näher am Torpfosten angesiedelt, ja letztendlch wird es eine 100%ige Chance, weil der Ball das Aluminium beinahe gestriffen hat - Pfosten rettet die Gegner. Natürlich, die Personalfrage keimt auf, ob nun der oder jener Angreifer besser wäre, sowieso macht der Bundestrainer alles falsch. Mit dem Ausfall von diesem Spieler hätte man zwanghaft den Spieler mitnehmen müssen, daß vestehe doch jeder mit nur halbwegs Ahnung vom Fussball. Wieder schaut man mich an und ich beginne mich zu fragen, ob wir hier bei Pickeldi und Frederic sind... Der Bundestrainer nimmt die Leute mit, die in sein Konzept und sein Team passen, was nicht zwangsläufig die 11 Besten sein müssen, mutmaße ich und werde sofort ausgelacht. Man beginne zu begreifen, warum ich kein guter Trainer wäre, Ahnung jedenfalls spricht man mir ab.
Wobei sich nach einer Aktion 14 Meter vor dem deutschen Tor nach einer recht unglücklichen Kopfballabwehr, die den Gegner dazu verleitet, ungehindert auf das Tor zu schießen, wobei der Ball in den Oberrängen des Stadions einschlägt, auch die T-Frage stellt. Natürlich, mit dem Wegbruch von Robert Enke sei es alles nicht mehr so einfach. Es gäbe keinen stabilen Torwart mehr... Die Kahn'schen und Lehmann'schen Lager sind verteilt und die Diskussion entfacht erneut, während Spiel im Mittelfeld hin und her wogt. Letztendlich, nach einem Eckball und einer kleinen Kopfballchance für Deutschland, erinnert man sich an den TwT, schaut mich an und fragt, welchen Torwart ich den wohl im Tor sehen würde...
Kann ich nicht b eurteilen. Dazu muss man die Torleute konstant spielen sehen, man muss mit diesen trainieren um einen Eindruck zu gewinnen. Doch letztendlich muss man sich dann auch anschauen, wie der Trainer spielen möchte und dazu dann den richtigen Torwart auswählen, der zum Spiel und ins Tram passt...
Erneutes mitleidiges Lächeln.... man merkt deutlich: Die Experten sind an meiner Meinung nur interessiert, weil es etwas Heiterkeit aufkommen läßt. Nicht weil man meine Meinung braucht oder akzeptiert, nein, weil man endlich mal etwas gefunden hat, worüber man sich ein wenig erheitern kann.
Die Gruppe nimmt das x-te Bier zu sich, wird ausgelassener und endlich: Sie ignoriert den armen kleinen Ahnungslosen, der im Kreis von 20 Bundestrainern sowieso keine Stimme hat, zudem durch seine aussagen sich von der Kenntnis dieses Sports deutlich disqualifiziert hat.

Das Spiel ist vorbei und man verabschiedet sich, etliche Getränkeflaschen, Dosen und Partyfässer sind nieder gemacht worden, die Deutschlandschminke ist auch nicht mehr so frisch, er riecht nach Treber, Menschlichen Ausdünstungen, Alkohol und kaltem Essen... Die Sclacht ist vorbei und mit einem müden Lächeln verabschiedet auch mich der Gastgeber, obligatorisch die Frage, wie es denn gefallen hat.
Soll ich nun die Wahrheit sagen?
Ich flunkere aus Höflichkeit und prompt kommt die Einladung, das nächste Spiel erneut mit anzusehen. Diesmal wolle man den "Beamer" besorgen und die große Leinwand einbeziehen, zudem: Letztendlich könnte ich ja so wirklich und endlich mal was lernen, über den großen wahren Sport.
Mit einem Würgereiz im Hals verabschiede ich mich endgültig und fahre nach Hause...

Fussball stelle ich fest, ist oft etwas intimes. Man kann es nicht mit jedem teilen und vielleicht ist es besser, zu einem der sogenannten Public Viewing Areas zu gehen. Dort kennt man niemand, die Stimmung ist ebenso trinkfreudig, aber man wird wenigstens in Ruhe gelassen und wenn, so feiert man um des Feierns willen, nicht um anhand einiger Aussagen, die man trifft, weil man so denkt, dann belächelt oder nieder gemacht wird.
Ob die Bundestrainer ebenso ungern mit Bekannten und Teilen der Familie Fussball schauen???

Kommentare

  1. Avatar von Paulianer
    Sehe ich genau so. Schöne Atmosphäre hin oder her: Deutsche Spiele sehe ich lieber zu Hause, nicht alleine, aber auch nicht mit 10.000 anderen. Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen, das eine oder andere Spiel "in der Masse" zu schauen. Wenn man nicht genau auf das Spiel achten möchte, macht das sogar Spaß. Aber dann suche ich mir eher ein Spiel aus, das mich eh nicht so interessiert.
  2. Avatar von Schnapper82
    Steffen, du sprichst mir aus der Seele.
    Ich habe das Spiel gestern in aller Ruhe von meiner Couch aus verfolgen können. Ohne dummes gelaber, künstliches Gejubel oder was auch immer. Wer es im Rudel schauen will, der soll es tun. Ich habe da keine Lust zu, denn ich geniesse den Fussball und verstehe das Spiel. Viele der Rudel-Guck-Anhänger gehen dort hin, um sich zu besaufen und nicht weil sie das Spiel verstehen.
    No, thanks...
  3. Avatar von Basco
    Ja, da kann ich Steffen nur zustimmen. Mich regen meist unqualifizierte und biergeschwengerte Komentare, aber auch überpatriotisches Gehabe auf.
    Da ziehe ich die Fernsehcouch doch um Längen vor!
  4. Avatar von Believer
    Super Beitrag, Steffen. Kann mich den anderen nur anschließen.