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In Köln blättert Lars Leese in seiner Fußball-Geschichte





Lars Leese kennt das Gefühl, sich auf ungewohntem Terrain zu
bewegen. Mit 22 Jahren war er Fußball-Torwart in der Kreisliga
Westerwald und hatte sich bereits auf ein Leben als
Großhandelskaufmann eingestellt. Sechs Jahre später betrat er
mit zitternden Knien das Stadion an der Liverpooler Anfield Road
und rettete dem Abstiegskandidaten FC Barnsley durch seine
Glanzparaden einen 1:0-Sieg.



Nun ist er 32, arbeitet als Vertreter für Büromaterial und hat am
Montag – erneut mit zitternden Knien – vor 150 Zuhörern im
Deutschen Sport- und Olympiamuseum in Köln aus einem Buch
vorgelesen, das seine bizarren Erlebnisse in der wundersamen
Welt des Fußballs erzählt. „Wenn ich mich irgendwie hätte
drücken können, hätte ich das gemacht“, erzählte der
erleichterte Leese nach dem Vortrag. Irgendwie war die
Veranstaltung ein passendes Kapitel in der Geschichte dieses
Menschen, einer Geschichte, wie sie nur der Fußball schreiben
kann.



„Ey, das ist ja der Hammer, da muss man ein Buch draus
machen“, habe einmal jemand zu Leese gesagt, nachdem er von
seinem Aufstieg bis in die englische Premier League erzählt
hatte. Und da er nichts mehr für unmöglich hielt, hat er den
befreundeten Journalisten und SZ-Autoren Ronald Reng
angerufen und gesagt: „Komm wir schreiben ein Buch.“„Worüber
denn? Du bist doch arbeitslos, da kräht doch kein Hahn nach“,
habe Reng zunächst geantwortet. Später ließ er sich
überzeugen.



Wundersame Mechanismen



Jetzt hat der Kölner eine neue Karriere vor sich: Als gefeierter
Romanheld einer wahren Geschichte. „Ich habe in den nächsten
Tagen Auftritte bei Eins Live, bei Johannes B. Kerner und in der
DSF-Viererkette“, wundert er sich auch jetzt noch über die
Mechanismen der Fußballwelt. Doch ganz im Gegensatz zu den
Fußball-Biographien eines Beckenbauer, Seeler, Matthäus oder
Brehme hat Lars Leese wirklich etwas zu erzählen: Das Buch
wirft einen Blick ins Innenleben des Profi-Fußballs, jedoch nicht
aus der Perspektive eines abgezockten Insiders, sondern aus
der Sicht von jemandem, der nie aufhörte zu staunen über die
Gepflogenheiten unter Trainern, Managern und Spielerfrauen und
der bei einem seltsamen Verein in der Premier League landete.



Der Text besteht aus einem Wechsel von O-Tönen des Torhüters
und aus Passagen, die die Ereignisse von Außen betrachten.
„Wir haben beide, seit wir 14 waren, nicht mehr laut
vorgelesen“, warnte Reng das Publikum zunächst.



Anschließend lasen sie abwechselnd, manchmal stolpernd oder
nicht die richtige Stelle im Buch findend. Aber liebenswert. Die
vielen Lacher waren auf Leeses Seite, denn wenn er las, dann
war er zu spüren: Jedermanns Traum von glorreichen
Augenblicken als Fußballprofi – immer im Kontrast zur Gefahr, als
tölpelhafter Hinterhofkicker entlarvt zu werden. Leese schilderte
diese Ängste vollkommen ehrlich, oft mit dünner Stimme und
entzauberte mit den unglaublichen Geschichten, die er erlebt
hat, das Hochglanzbild, das der Fußball inzwischen abgibt.



Nicht nur die Kölner im Saal, die während der unvermeidlichen
Erwähnungen des 1. FC leise vor sich hin lachten, als wolle man
mit dieser Peinlichkeit möglichst nichts zu tun haben, bekamen
stattdessen eine Dosis jener unverfänglichen Fußball-Liebe
verabreicht, die den Kölner Fans gegenwärtig fremd ist. Der
bekennende FC-Anhänger Manuel Andrack aus der
Harald-Schmidt- Show, der wohl so etwas wie ein
Publikumsmagnet sein sollte, sagte nur wenig. Er gehe nun zu
Preußen Köln, gewissermaßen als Methadontherapie, um vom FC
loszukommen. Ronald Rengs „Der Traumhüter“ (Kiepenheuer und
Witsch, 256 Seiten, 8,90 Euro) eignet sich allerdings ganz sicher
nicht, um dem Einfluss der Droge Fußball zu entfliehen.



Daniel Theweleit