Das hilft Enke

VON JONAS FREIER
Müssen wir eigentlich immer wissen, wer sich gerade wie fühlt und warum? Eigentlich ja, denn wir Journalisten transportieren Stimmen und Stimmungen. Deshalb dürfen wir den kurzbehosten Millionären auch gleich nach dem Abpfiff Mikrofone und Aufnahmegeräte unter die Nase halten – das ist unser Job. Und die in den kurzen Hosen antworten. Manchmal genervt, auch mal nichtssagend – aber sie antworten. Das ist deren sensationell gut bezahlter Job. Und das gehört zum Business Bundesliga.
Robert Enke wird in den nächsten Wochen nicht antworten. Das ist nicht weiter schlimm, weil alle, die ihm gestern zugehört haben, auch keine Fragen mehr stellen werden. So lange, bis Enke sagt: Ich sage jetzt wieder was.
Nichts zu sagen, ist in diesen schweren Tagen und Wochen sein verdammt gutes Recht. Wir alle ahnen, was der 96-Torwart durchgemacht hat und noch durchmachen muss. Trotzdem setzte er sich gestern Mittag aufs Podium und erzählte zum ersten und einzigen Mal, wie er den Tod seiner Tochter Lara erlebt hat. Die Medienprofis der Nationalmannschaft gaben Enke dabei genau das richtige Forum – so konnte er einmal alles erzählen, die Nachrichtenagenturen verbreiteten es in die ganze Republik – und gut.
Robert Enke und seiner Frau ist damit sehr geholfen. Sie haben jetzt die Ruhe, die sie brauchen. Es gibt nicht viele Fälle, in denen wir Journalisten das Desinteresse eines Spielers an Interviews verstehen. Der Fall Enke ist so einer.

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Er spricht über den Tod seiner Tochter und dankt den Fans für Anteilnahme

Robert Enke sprach gestern bei der Pressekonferenz der deutschen Nationalmannschaft erstmals über den Tod seiner Tochter Lara.
VON ANDREAS WILLEKE
BERLIN. Als Robert Enke an die Reihe kommt, senkt Harald Stenger die Stimme. Der DFB-Sprecher, ein Medienprofi, an dem der WM-Trubel abtropfte, kann jetzt nicht einfach so professionell weitermachen. Eben noch hatte Stenger den Stuttgarter Timo Hildebrand und Torwarttrainer Andreas Köpke vorgestellt und locker befragt. Aber eine Pressekonferenz der Nationalmannschaft mit Enke, das kann keine normale Veranstaltung werden. Nach allem, was Enke durchmachen musste.
Stenger, Enke, Hildebrand und Köpke sitzen eng beieinander im zweiten Stock der Berliner Daimler-Chrysler-Zentrale. Dann tritt der DFB-Mann den geordneten Rückzug an: „Ich möchte Robert einfach nur das Wort geben.“
Und dann spricht Enke zum ersten Mal öffentlich über den Tod seiner Tochter. „Ich möchte mich auch im Namen meiner Frau für die überwältigende Anteilnahme nach dem Tod meiner Tochter bedanken. Es haben sich so unglaublich viele Leute gemeldet, es ist unmöglich, alles aufzuzählen.“

Alles hat geholfen

Er versucht es dann doch. „Es wurde extra eine Internetseite eingerichtet. Es hat über 5000 Einträge in Internetforen gegeben, die meisten bei Hannover 96, aber auch bei anderen Vereinen. Es hat Faxe und Post, teilweise an meine Prtivatadresse, gegeben. Ich habe noch gar nicht alles lesen können. Ich möchte mich für das Mitgefühl bedanken, jede einzelne Sache, alles hat mir und meiner Frau sehr geholfen.“
Dies ist Enke so wichtig, dass er eine nicht gerade übliche Aufforderung an die etwa 20 Journalisten hinterschickt: „Schreiben Sie das bitte.“
Dann kommt die Frage, die sich wohl jeder im Raum stellt. Wie gelingt es ihm, sich auf den Sport zu konzentrieren. Hat er denn gar nicht überlegt, eine Fußballpause einzulegen?
„Natürlich denkt man darüber nach“, antwortet Enke, „das habe ich in erster Linie mit meiner Frau besprochen.“
Er scheint ruhig, gefasst, aber man sieht an seinem leicht flackernden Blick, dass er sich doch zusammenreißen muss. „Der Tod von Lara ist absolut überraschend eingetreten. Durch die Krankheit hatten wir uns aber schon intensiv mit Leben und Tod meiner Tochter beschäftigt. Es gab ja schon einmal eine kritische Situation, als sie reanimiert werden musste. Da haben wir auch überlegt, wie lange und ob ich wegbleiben sollte.“ Das war 2004 vorm Pokalspiel in Cottbus, als er sich keine Auszeit nahm.
„Lara und der Fußball gehören zu meinem Leben“, Robert und Teresa „entschieden, dass ich schnell wieder einsteige“. So stand er sechs Tage nach dem Trauerfall gegen Leverkusen im 96-Tor. „Ich bin froh, dass ich es so gemacht habe. Es ist alles sehr gut gelaufen rund um das Spiel gegen Leverkusen. So wie alles, was bisher abgelaufen ist, den Umständen entsprechend sehr, sehr gut gelaufen ist.“

Keine Interviews

Enke spricht auch jetzt noch ruhig, er scheint mit sich im Reinen. Und doch braucht er noch Zeit. „Ich weiß, dass Öffentlichkeitsarbeit für einen Profi dazugehört, ich habe das Feld auch immer bedient. Aber ich werde mir das Recht nehmen, in den nächsten Wochen und Monaten, vielleicht sogar bis zur Winterpause, keine Interviews mehr zu geben. Ich will meine Ruhe haben.“ Enke hat erstmals über seine schlimmste Zeit geredet, mehr gibt es nicht zu sagen.

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Köpke lobt 96-Torwart
Weidenfeller, Wiese und Schäfer sind Konkurrenten

Robert Enke fühlt sich gut aufgenommen in der Nationalelf. Sein Ziel ist die EM 2008.
VON ANDREAS WILLEKE
BERLIN. Die Einladung zur Nationalmannschaft war für Enke die Chance zum Wiedersehen. „Ich kenne vom Betreuerstab viele noch“, erinnerte sich der Torwart gestern an seine Jugendkarriere. „Ich bin gut aufgenommen worden.“ Enke durchlief die Junioren-Nationalmannschaften bis zur U 21. Bei den Großen war er nur 1999 beim Confed-Cup in Mexiko dabei, spielte aber nicht. Auch morgen gegen Georgien wird er nicht zum Einsatz kommen. Enke sitzt auf der Bank, Timo Hildebrand darf erstmals seit dem Confed-Cup-Spiel gegen Argentinien (2:2) wieder ins Tor. „Timo hat es selbst in der Hand“, meint Torwarttrainer Andreas Köpke.
Hildebrand steht aber stark unter Druck, der Kampf um den Platz hinter Jens Lehmann ist eröffnet. Und viele Experten sehen Hildebrand sogar als schwächsten der Bewerber um die Nummer zwei. Köpke nannte gestern Roman Weidenfeller (Dortmund), Tim Wiese (Bremen) und Raphael Schäfer (Nürnberg) als weitere Kandidaten. Aber Enke hat die Nase vorn.
Nach welchen Kriterien beurteilt Köpke den 96-Torwart? „Wir schauen, wie er sich in der Truppe verhält, wie er sich bewegt. Beim Training kann man manchmal mehr sehen als im Spiel.“ Köpke lobt Enke auch. „Er macht einen fitten Eindruck“, und überhaupt, entscheidend seien letztlich „nur Nuancen“. Für Enke ist jedenfalls klar: „Die EM 2008 ist sportlich schon mein Ziel.“


Quelle: Neue Presse, 06.10.2006