Enke: Auf bizarren Umwegen ins Nationalteam
VON FRANK NÄGELE, 26.03.07, 20:31h

Düsseldorf - Als Andreas Köpke und Robert Enke so friedlich, freundlich und zurückhaltend nebeneinander sitzen auf dem Podium in Düsseldorf, wirken sie fast wie Brüder, nicht wie Vorgesetzter und Untergebener. Der Torwarttrainer des Deutschen Fußball-Bundes hat gar keinen Ehrgeiz, diese Anmutung zu zerstören. Er schwärmt in den höchsten Tönen von den Fähigkeiten des Torhüters von Hannover 96: „Robert hat sehr, sehr gute Leistungen gebracht. Er ist unglaublich stark in der Eins-zu-eins-Situation, und seine ruhige Art tut uns gut. Er wird am Mittwoch gegen Dänemark über 90 Minuten spielen.“

Der Gepriesene lächelt bescheiden. „Wenn mir einer vor drei, vier Jahren gesagt hätte, dass ich noch mal Nationalspieler würde, das hätte ich nicht geglaubt“, sagt Enke, „immerhin bin ich jetzt fast 30.“ Köpke widerspricht: „Noch bist du 29, mach dich nicht älter als du bist. Und ich hab' mein erstes Länderspiel auch mit 29 gemacht. Es war auch gegen Dänemark.“

Die Partie in Duisburg, sein erstes Länderspiel, wird der vorläufige Höhepunkt einer an bizarren Wendungen reichen Torhüter-Karriere. Nach seinem Wechsel von Jena nach Mönchengladbach im Alter von 19 Jahren kam Robert Enke zwei Jahre lang nicht am Bökelberg-Denkmal Uwe Kamps vorbei. Als Enke endlich den Stammplatz hatte, stieg Gladbach ab. Darauf folgte der Wechsel zu Benfica Lissabon, wo der junge Deutsche mit starken Leistungen zum Publikumsliebling und sogar Kapitän wurde. Mit großen Ambitionen wechselte er 2001 zum FC Barcelona - und scheiterte. Nach einer Saison mit nur einem Pflichtspiel (2:3-Niederlage im Pokal gegen den Drittligisten Novelada) ging Enke zu Fenerbahce Istanbul mit dem Trainer Christoph Daum. Dort erlebte er einen Alptraum. Als Nachfolger des Nationaltorhüters Rüstü führte vor allem seine katastrophale Leistung im Auftaktspiel der Saison 2003 / 2004 zur 0:3-Niederlage gegen den Außenseiter Istanbulspor. Daraufhin floh Robert Enke in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Türkei. „Es war die richtige Entscheidung, ich würde es wieder so machen“, sagt er heute, „das war ich mir, aber auch dem Verein schuldig.“ Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit fand der Thüringer Unterschlupf beim CF Teneriffa in der zweiten spanischen Liga. Darauf folgte im Sommer 2004 der Wechsel nach Hannover, wo Enke seitdem zu ungeahnter Stabilität gefunden hat.

„Robert kann noch acht bis zehn Jahre spielen“, erklärt Andreas Köpke, als freue er sich darauf. Möglicherweise keine guten Nachrichten für Timo Hildebrand (VfB Stuttgart), der sich unverhohlen als legitimen Nachfolger von Jens Lehmann nach der Europameisterschaft 2008 betrachtet. Allerdings beeilt sich der zur Fairness verpflichtete Torwarttrainer Köpke, zu sagen: „Hildebrand ist aber nicht degradiert.“ Sicher ist jedoch, dass Robert Enke befördert wurde.

Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger

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Der längst überfällige Debütant

Robert Enke wird am Mittwoch (20.00 Uhr) im Test gegen Dänemark sein Debüt im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft geben. Mit 29 Jahren. Eigentlich kein Alter für einen Torwart. Doch der Schlussmann des Bundesligisten Hannover 96 hat einen langen Weg bis auf die wichtigste Torlinie Deutschlands hinter sich, auf der viele Experten ihn eigentlich schon viel früher erwartet hatten und spätestens zur WM 2010 in Südafrika prophezeien. "Robert hat in den letzten Monaten sehr, sehr gute Leistungen gezeigt und sich einen Einsatz verdient", sagt Bundestorwarttrainer Andreas Köpke. Man könnte auch sagen, Robert Enke ist der talentierteste unter den vielen überdurchschnittlichen deutschen Keepern. Herausragende Reflexe, eine sehr gute Strafraumbeherrschung und eine einsame Klasse in Eins-gegen-Eins-Situationen werden als seine Stärken genannt. Trotzdem sagt Enke vor seinem Debüt: "Vor drei, vier Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass ich noch einmal ein Länderspiel machen würde." Sein Pech war vielleicht der von ihm gewählte Karriereweg, der den angenehm ruhigen Vertreter seiner Zunft über Jahre aus dem (engstirnigen) Blickfeld der Nationalmannschafts-Verantwortlichen katapultierte.

Eine eindrucksvolle Visitenkarte

Dabei liest sich die Visitenkarte des gebürtigen Jenaer eindrucksvoll. Als das Talent der Zukunft brachte es Enke mit 23 Jahren zum Kapitän beim portugiesischen Traditionsverein Benfica Lissabon. Zwei Jahre später dann der Wechsel zum großen FC Barcelona nach Spanien. Enke schien auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen. Über mehr als eine Nominierung zum Konföderationen-Cup 1999 war er im DFB-Team bis dahin trotzdem nicht hinaus gekommen. Nach nur einem verpatzten Pokalspiel und keiner echten Chance bei den Katalanen flüchtete Enke in die Türkei zu Fenerbahce Istanbul. Doch mit den fanatischen Fans kam der bodenständige Torwart nicht zurecht. Das merkte er gleich im ersten Spiel für das von Christoph Daum trainierte Team. Er kündigte seinen gut dotierten Vertrag nach nur einem Einsatz und nahm eine sechsmonatige Sperre in Kauf, um seine Fehlentscheidung so schnell wie möglich zu korrigieren. Einen Neuanfang startet der ehemalige Juniorennationalspieler in der zweiten spanischen Liga bei CD Teneriffa, bis 96 anrief. "Als ich nach Hannover gegangen bin, ging es nur darum, im Profifußball wieder Fuß zu fassen", sagt Enke heute.

Zahlreiche Angebote ausgeschlagen

Mittlerweile haben er und seine Frau Teresa in Empede nahe der niedersächsischen Hauptstadt auf einem Bauernhof ein neues zu Hause für sich, die acht Hunde, das Pferd und die zwei Katzen gefunden. Sie fühlen sich sogar so wohl, dass Enke, der von seinen Bundesliga-Kollegen zuletzt zweimal hintereinander zum besten Torwart der Liga gewählt wurde, zahlreiche Angebote - auch von Top-Clubs - ausgeschlagen hat und bei 96 bis 2010 verlängerte. Für die Enkes zählen mittlerweile andere Dinge als Titel und Trophäen. Der private Schicksalsschlag aus dem vergangenen September, als ihre Tochter Lara, die mit einem schweren Herzfehler zur Welt gekommen war, im Alter von zwei Jahren starb, hat auch den Fußball-Profi Robert Enke verändert. Er ist gelassener geworden. Den "Torwart-Krieg" zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann vor der WM 2006 hat Enke sicherlich mit einigem Befremden beobachtet. Was nicht heißt, dass er sportlich nicht alles dafür tun würde, im Sommer 2010 im deutschen Tor zu stehen. Dann wäre Enke 32 Jahre alt, vielleicht im besten Torwart-Alter.

Autor: Matthias Heidrich, NDR online

Quelle: NDR-Online