Fehler? Irgendwie ein klassisches "Ja, aber...". Denn ich würde die Schuldzuweisung zu 80 % auf die vorne eingeteilten Spielern verteilen. Dass ein Gegenspieler da vorne frei steht und der Ball auch noch in der Höhe bis zu ihm durchgeht, ist zumindest mal bis dahin kein Torwartfehler. Übrigens ist es auch kein Fehler von Riether. Ich selbst gebe meinen Leuten an den Pfosten immer klar zu verstehen, dass sie möglichst lange auf der Position bleiben sollen.
Was dann passiert, ist m.E. eine Frage des zeitlichen Ablaufes und ob Neuer eine realistische Chance hat, an den Ball zu kommen oder die Situation anders besser zu lösen. Da kann man jetzt sagen, dass er sich ideal auf der Linie positionieren muss, weil er ja nciht durch den Mann durchspringen kann. Richtig! Man könnte aber auch überlegen, ob diese Handball-artige Bewegung nicht in so einem Fall sogar die höchste Wahrscheinlichkeit beinhaltet, die Situation zu lösen. Könnte nicht auch das richtig sein? Zumindest sieht man z.B. in den den Einzelkritiken unterlegten Bildern auf sport1.de, wie der Gegenspieler den Kopf einzieht und dass Neuer in dem Moment noch ein Stück weit hinter dem Mann ist, sich also die Frage danach, ob er den Ball vor dem Spieler erreichen kann, gar nicht stellt.
Ich denke, dass Du hier als Torwart schon mal vorab der Gekniffene bist: Du hast keine Chance, vor dem Spieler an den Ball zu kommen, ohne extrem Gefahr zu laufen, dass es ein Foul ist. Du hast zwar die Möglichkeit, auf der Linie zu blieben, aber dann hast Du realistisch gesehen auch nur die Chance, angeköpft zu werden. Sowohl bei einem Kopfball auf das Tor als auch dabei, dass der Ball einen Meter vor der Linie durch den 5er durchrast, besteht null Chance auf eine Reaktion. Womöglich geht er sogar ohne irgendeine Berührung direkt ins Tor.
Neuer "gambled" in solchen Situationen, indem er spekuliert, wohin der Ball kommen könnte, wenn der Spieler ihn trifft. Dass es hier schief geht und er besser auf der Linie geblieben wäre, ist m.E. das Ergebnis der retrospektiven Betrachtung. Aber in der Situation selbst scheint sein Vorgehen gar nicht mal die schlechteste, sondern eine in dem Fall sogar recht erfolgversprechende Variante zu sein. Und wir müssen uns ja die Frage im Umkehrschluss stellen: wenn ein Torwart in der Situation auf der Linie bleibt, würden dann nicht ein großer Teil der kompetenten wie inkompetenten Beobachter ihm vorwerfen, dass er da hin muss, obwohl der realistisch nicht vor dem Spieler an den Ball kommen kann?
Was meinst Du Steffen? Wenn wir über den Tellerrand hinausgucken, dann ist diese Anleihe vom Handball in einer solchen Situation womöglich sogar am sinnvollsten. Über den Fehler gegen England brauchen wir ja nicht zu reden, schließlich ist Neuer da fünf Meter vor dem Tor. Und da macht so eine Aktion wohl weniger Sinn, es sei denn, ich spekuliere so, dass ich davon ausgehe, bei einem Kopfball keine Chance zu haben und eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit zu erreichen, wenn ich den Spieler irritiere und hoffe, den Ball wie ein Handballtorhüter zu blocken. Ich behaupte - und zwar ohne Schalke- oder Neuerbrille -, dass ein Torwart hier fast immer schlecht aussehen wird, egal ob er versucht, trotz Chancenlosigkeit und Elfergefahr vor den Mann zu kommen, den Ball zu blocken oder auf der Linie abzuwarten.
Einfach nur zu sagen "Riesenbock" und "typische und falsche Neuer-Technik", ist zu wenig, genau so wie es falsch war bei Wieses "Fehler" gegen Dänemark nicht auch die Gesamtsituation zu beachten, die zu dem Gegentor führt.