Ich habe mir das Spiel im Schnelldurchlauf angesehen. Ich sehe Kraft fußballerisch ebenfalls klar besser als Rensing und Kahn. Aber merklich schlechter als z.B. Neuer. Bei dem gab es Samstag eine Szene, in der Cisse ganz zu Beginn von Höwedes gestoppt wurde. Neuer hätte den Ball u.U. aufnehmen können, denn es war ja kein Rückpass. Er agiert wie ein richtig guter Abwehrspieler, erkennt die Situation, geht zum freiliegenden Ball und begibt sich mit Ball am Fuß in eine kleine Lücke, von der aus er das Spiel wieder aufbauen kann. Gut, das ist dann fußballerisch, offensiv-strategisch in der Spieleinleitung und der Spielübersicht auch schon high-end... Und ich muss selber aufpassen, Kraft nicht mit einem Torwart zu vergleichen, der ganz wichtige Entwicklungsschritte weiter ist. Ich würde schon sagen, dass Kraft hier absolut solide und auf dieser Basis noch entwicklungsfähig ist. Ein FußballSPIELER wird er nicht mehr.
Strafraumbeherrschung: Kraft macht es vordergründig gut, er kommt nach einigen Wacklern nun etwas dezenter raus und nur, wenn er sich 100 %ig sicher ist. Das kann man auch weniger euphorisch beurteilen: Ist das schon das erste Zugeständnis daran, dass jede Szene (meist inkompetent) auf die Goldwaage gelegt wird? Ich tendiere dazu, einem Torhüter zu raten, eher weiterhin aggressiver rauszukommen und sich an die Grenzen heranzuarbeiten. Das ist genau die Crux an der Geschichte: Ich selber habe Neuer schon verflucht dafür, dass er immer mal wieder überdreht und das richtige (Augen-) Maß verliert. Er hat dafür auch schon unzählige Male (mal zu Recht, mal zu Unrecht) in Medien oder hier Prügel einstecken müssen. Andererseits hat er sich mit dieser "Und wieder und wieder und wieder"-Einstellung so extrem weiterentwickelt.
Bei Bayern darfst Du keine Fehler machen. Auf jeden Fall weniger als anderswo. Hier liegt der "Hase im Pfeffer": Hat der Junge den "Arsch in der Hose" (sorry), sich dieser natürlichen Reaktion, sich zurückzunehmen, zu widersetzen, um seine Grenzen immer weiter zu ziehen? Und hat Bayern den langen Atem, einen jungen Mann dabei zu unterstützen? Haben die erfolgsverwöhnten Anhänger, die jetzt noch Kraft die Stange halten, ihren Opportunismus abgelegt, der aus Rensing binnen Monaten vom (überschätzten) Anwärter auf die N11 einen Fliegenfänger gemacht hat? Nichts gegen Kahn, aber die Vergleiche hinken. Denn der hatte es - bei aller Klasse - letztlich leichter, sich konzentriert auf das klassische Torwartspiel punktuell zu einem Weltklassetorwart zu entwickeln. Da fiel es (auch aufgrund extrem starker Innenverteidiger) nicht auf, wenn er auf der Linie blieb, Sicherheitspässe spielte oder die Dinger lang nach vorn ballerte. An heutigen Anforderungen gemessen muss ein Kraft weitaus mehr investieren, um überall Spitze zu werden. Frei nach dem Motto: "Drum stürme nach vorn, wenn Engel furchtsam weichen."
Daran habe ich weit mehr Zweifel als an Krafts Potenzial, ein herausragender Keeper zu werden.