Eisen: Alte Liebe rostet nicht
Gesundheit gilt als höchstes Gut. Was tun wir nicht alles, um sie zu erhalten: Wir steigen auf hohe Berge, joggen um immer die gleichen Häuserblocks oder besuchen regelmäßig die Sauna. Beim Essen achten wir auf reichlich Gemüse, meiden „rotes Fleisch” und trinken pflichtbewusst ein Gläschen Roten zu den Knoblauch-Spaghetti. Besonders Eifrige, denen der Schoppen als Schutz vor Herzinfarkt nicht reicht, greifen auf Anraten ihres Arztes vorsorglich zum Aspirin.
Diese auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Maßnahmen haben, so Dr. Felix Kieffer aus Bern, Spezialist für Spurenelemente, etwas gemeinsam: Sie sorgen dafür, dass in unserem Körper weniger Eisen zirkuliert. Bei Sauna und Sport verlieren wir Eisen über den Schweiß, im Gebirge werden die Depots aufgebraucht, weil wegen des niedrigen Sauerstoffdrucks vermehrt rote Blutkörperchen gebildet werden. „Rotes” Fleisch enthält reichlich Eisen, vegetarische Ernährung bedeutet hingegen eine knappe Versorgung mit dem Metall. Die Polyphenole von Wein und Tee binden ebenso Eisen wie die Schwefelverbindungen des Knoblauchs. Ja, sogar die schwefelhaltigen Quellen mancher Thermalbäder könnten über diesen Mechanismus wirken. Und auch Aspirin, empfohlen zur Sekundärprophylaxe des Herzinfarkts, fischt freies Eisen aus dem Blut.
Ein Fest für Keime
Auch wenn man Kieffers Deutung nicht in jedem Punkt folgen mag, so hat seine These, dass eine reichliche Eisenversorgung auch unerwünscht sein könnte, etwas Frappierendes. Eisen ist nicht nur für den menschlichen Körper lebenswichtig, sondern genauso für pathogene Mikroorganismen. Es ist der limitierende Faktor für das Wachstum fast aller Krankheitserreger. Deshalb schützt sich der Mensch in Gebieten mit hohem Parasitendruck und geringer Hygiene - vor allem in der Dritten Welt - durch einen möglichst niedrigen Eisenspiegel.
Wenn ein „Mangel” also nicht mit Eisengaben zu therapieren ist, kann dies auch als Hinweis auf das Vorhandensein eines latenten Infektionsherdes gewertet werden. Dann mobilisiert der Körper seine homöostatischen Mechanismen, um einen Damm gegen die den Erregern dienlichen Eisenionen zu bauen. Dieser Zusammenhang ist wohl auch der therapeutische Hintergrund des Aderlasses, der sich im Mittelalter und noch lange danach großer Beliebtheit erfreute.
Bügel-Eisen
Natürlich passt diese Auffassung überhaupt nicht zu unserem Bild vom Eisen als Garant eines vor Vitalität strotzenden Lebens. Gilt doch Eisenmangel als das häufigste Mineralstoffdefizit. In der Tat sind schwere Anämien durch Eisenmangel lebensbedrohlich, weil dann keine roten Blutkörperchen gebildet werden können. Da zu den ersten Symptomen Müdigkeit und Leistungsschwäche zählen, haben Ernährungsberater, Gesundheitsdoktoren im TV und Pharmafirmen ein leichtes Spiel, bei jedem Mitglied unserer Industriegesellschaft, das sich ein wenig schlapp fühlt, einen latenten Mangel zu diagnostizieren. Welcher niedergelassene Arzt kennt nicht Patienten, die Eisen verschrieben haben wollen, nur weil sie vor dem übervollen Schreibtisch Lethargie befällt oder weil sie wachsende Lustlosigkeit angesichts des Stapels Bügelwäsche empfinden.
Nun steigt aber gerade bei jenen Menschen, die an einer erblich bedingten Eisenüberladung (z.B. Hämochromatose) leiden, das Risiko an Herzinfarkt, Diabetes und den verschiedensten Tumoren zu erkranken. Offenbar ist Eisen doch ein janusköpfiges Element, auf das der Körper nur in engen Grenzen angewiesen ist, das aber mit steigender Konzentration auch Schaden anrichten kann.
Primum nil nocere
Die Ernährungsmedizin meidet dieses Thema, so gut sie kann. Wenn epidemiologische Studien die Eisenzufuhr kalkulieren, dann in der Regel nur unter dem Aspekt eines Mangels, so gut wie nie jedoch als Risikofaktor. Das ist mehr als merkwürdig. Denn die Fachzeitschriften sind voll von Warnungen vor „freien Radikalen“, die unsere Gesundheit bedrohten und den maximalen Einsatz von antioxidativen Vitaminen forderten. Haben sie etwa alle vergessen, dass es im Körper (neben einer Überdosis Antioxidantien) eigentlich nur einen Stoff gibt, der wirklich ein gefährlicher Radikalbildner ist - das Eisen? Könnte es sein, dass manch ein niedriger Eisenstatus seine Ursache darin findet, dass sich der Körper so am effektivsten vor „freien Radikalen“ schützt?
Primum nil nocere, zuvörderst nicht schaden, lautet ein klassischer Leitspruch der Medizin - hier, beim Eisenstoffwechsel, zeigt sich, wie schnell man mit seinem Latein am Ende sein kann, wenn man nur den Mangel im Auge hat.
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