Die Chemie stimmt

Chinas Athleten wurden für die Olympischen Spiele in Peking jahrelang gedrillt. Jetzt zahlt sich die harte Schule aus: Die Sportler sind Meister im Medaillenholen.

Über Chinas Sporterfolge zu schreiben, ist nicht einfach: Denn es geht rasend schnell bei Olympischen Spielen. Bis zum heutigen Mittwoch um 18.30 Uhr Ortszeit waren es 16 Gold-, 3 Silber- und 5 Bronzemedaillen. Aber das wird sich im Laufe des Tages noch ändern. Bei den Heimspielen hat China zum Sprung auf Rang eins der Nationenwertung angesetzt. Das Land ist kaum zu stoppen.

Schon die Sommerspiele 2004 in Athen hatte IOC-Präsident Jacques Rogge als Spiele des "erwachenden Asiens" bezeichnet. China war mit 32 Goldmedaillen hinter den USA (36) auf Rang zwei gelandet. Kaum jemand zweifelt daran, dass China die Amerikaner diesmal überflügeln wird, trotz möglicher acht Goldmedaillen von Michael Phelps. Damit hätte die von den chinesischen Machthabern arrangierte Propagandashow am 24. August den perfekten Höhepunkt gefunden.

Parallel zur Medaillenwertung empfiehlt sich die Lektüre anderer Dokumente: Laut der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada ist China größter Hersteller von Dopingmitteln. 80 Prozent der weltweit vertriebenen Wachstumshormone, die noch immer nicht direkt nachweisbar sind, werden in China produziert. Der Renner der Firma GeneScience Pharmaceutical, die sich zu 70 Prozent im Besitz einer staatlichen Wirtschaftseinheit befindet, ist das Wachstumshormon Jintropin - das wurde auch beim spanischen Dopingarzt Eufemanio Fuentes gefunden. Nach Erkenntnissen von US-Drogenfahnder sollen 99 Prozent der Rohstoffe, die in den Vereinigten Staaten zur Anabolika-Produktion verwendet werden, aus China kommen.

Die Wechselwirkung von Doping und Medaillen lässt sich in der neueren olympischen Geschichte Chinas ähnlich deutlich beschreiben wie am Beispiel der DDR, dem Sportwunderland des 20. Jahrhunderts. In der DDR war das Dopingsystem staatlich gesteuert. In China wurde bislang kein Staatsplan nachgewiesen - die Steuerung liegt in den Händen der KP-Fürsten in den Provinzen, die in mehr als 4000 staatlichen Sportschulen gebieten. Zentral gelenkt ist allerdings die Sportmedizin des Riesenreichs.

Rund 60 ausländische Trainer sollen in den vergangenen Jahren Chinas Olympiaathleten flott gemacht haben. Gefragt waren Schinder alter Schule, etwa russische und ostdeutsche Rudertrainer. Denn in China läuft das so wie in der verflossenen DDR: Medaillen sollen das Image des Landes aufpolieren. Der Zweite ist in China schon ein Verlierer. So war das in der DDR unter dem Sportdespoten Manfred Ewald. So ist das heute in China.

"Es zählt nur Gold", hat Sun Haiping gesagt, der Trainer des Nationalhelden Liu Xiang, der 2004 in Athen den Hürdensprint über 110 Meter gewann. "Ich wollte Gold, nur das zählte", schimpfte in Peking der Freistilschwimmer Lin Zhang nach seinem zweiten Platz über 400 Meter. "Die wollen eine Medaillengarantie", beklagte vor wenigen Wochen der deutsche Kanutrainer Josef Capousek, als er von den Chinesen entlassen wurde. Außer Capousek sollen etwa 20 andere Trainer heimgeschickt worden sein.

André Ehrenberg, von September 2006 bis September 2007 Kanuslalom-Trainer in China, berichtet über Eingriffe der Funktionäre. "Es gibt nicht die Möglichkeit, wirklich ein Trainingskonzept durchzuziehen. Es wird immer alles von den chinesischen Offiziellen wieder verändert." Von den Sportlern werde zu viel verlangt, so Ehrenberg: "Die werden ständig überstresst."

Beim Blick in die Medaillenlisten fällt auf, dass Chinas Hochleistungssport breit diversifiziert ist. Die Chinesen haben bereits in 24 von derzeit 28 olympischen Sportarten Medaillen gewonnen. In 15 Sportarten stellten sie Olympiasieger. Nur im Baseball, im Reiten, Hockey, Triathlon und im Modernen Fünfkampf landeten Chinesen nicht unter den ersten drei Rängen. In Athen hatten vor vier Jahren sogar die Tennisspielerinnen Li Ting und Sun Tiantian im Doppel Gold geholt.

In Chinas ewiger Olympia-Bilanz dominieren die Wasserspringer mit 23 Siegen (3 davon in Peking), vor Gewichthebern (22/5), Tischtennisspielern (16), Sportschützen (16/2) und Turnern (15/2). In den olympischen Kernsportarten Leichtathletik (5) und Schwimmen (6), in denen knapp ein Drittel der 305 Entscheidungen fällt, bleibt China allerdings Außenseiter, trotz einiger exorbitanter Steigerungsraten im olympischen Schwimmbecken. Das ist kein Zufall, sondern Resultat der Arbeit internationaler Dopingfahnder.

Denn China hat Anfang der neunziger Jahre in breiter Front das Beispiel der DDR kopiert und eine Hormon-Armada zu Weltmeisterschaften entsandt. Die Läuferinnen des Trainers Ma Junren schockierten im Herbst 1993 bei der Leichtathletik-WM in Stuttgart und anschließend bei den Nationalspielen, als sie die Weltrekorde auf den Langstrecken pulverisierten. Später wurde bei einigen von ihnen Epo nachgewiesen. Ein Jahr später dominierten gedopte Schwimmerinnen die WM in Rom. Im Herbst 1994 war der Spuk beendet, als bei unangekündigten Dopingkontrollen vor den Asienspielen in Hiroshima (Japan) elf Athleten überführt und China neun von 23 Goldmedaillen aberkannt wurden.

1998 entdeckten australische Zöllner Wachstumshormone im Gepäck der Chinesen. Im Jahr 2000 wurden 27 Chinesen von den Olympischen Spielen in Sydney zurückgezogen, nachdem klar war, dass dort zum ersten Mal auf das Blutdopingmittel Epo getestet werden würde.

Nach dem Anti-Doping-Coup von Hiroshima fiel China in Leichtathletik und Schwimmen zeitweise auf das Niveau eines Entwicklungslandes zurück.

Ma Junren blieb dem Sport erhalten: an der Anshan-Sportschule im Nordosten des Landes. In der Hafenstadt Dalian, wo die US-Leichtathleten ihr vorolympisches Trainingslager absolvierten, ist Ma noch immer der Boss, wie die Leipziger Journalistin Grit Hartmann vor Ort recherchierte. Ma besitzt dort viele Immobilien, herrscht über das Trainingszentrum der Leichtathleten, betreibt eine Firma für Nahrungsergänzungsmittel, war Vizesportchef der Provinzregierung und Mitglied des Obersten Volkskongresses.

In einer klassischen Dopingsportart wie Gewichtheben allerdings, wo auch die Struktur des Weltverbandes skandalös korrupt ist und sich Dopingnationen von Sperren freikaufen können, sahnt China weiter ab. Nirgends lassen sich Goldmedaillen so zuverlässig holen wie im Gewichtheben, jener Disziplin, der Wada-Chef John Fahey (wie auch dem Radsport) wegen beständiger Verstöße gegen den Antidoping-Code jüngst mit dem Ausschluss aus dem Olympia-Programm drohte.

Insofern lag im ersten Olympiasieg des Gastgebers in Peking eine gewisse Logik: Die Gewichtheberin Chen Xiexia wurde landesweit als Heldin gefeiert. Hinweise auf Doping gibt es nicht. Es sollte sich niemand täuschen lassen. Im Hintergrund wirkt auch im Schwimmen und in der Leichtathletik noch dieselbe Garde wie in den neunziger Jahren. Zwei Beispiele: Trainerin Feng Zhen, Anhängerin von Ma Junren, betreut die besten chinesischen Schwimmerinnen, wie aus der Meldeliste hervorgeht, die die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichte. Die "Süddeutsche Zeitung" nannte Feng Zhen jüngst die "Medaillenmacherin", sie sei schon zu Zeiten des chinesischen Anabolikaprogramms aktiv gewesen.

Und die besten Langläuferinnen, die kommende Woche Ehre punkten sollen, werden von Wang Dexian betreut, berichtete der "Stern" kürzlich und nannte ihn "einen der größten Doper in der chinesischen Leichtathletik". Etliche seiner Athleten wurden bereits positiv getestet, beispielsweise auf Anabolika-Missbrauch. Offiziell ist Wang Dexian laut chinesischer Behörden deswegen gesperrt. Lebenslang. Was das bedeuten kann, ist allerdings offen. Yu Weili, Chef des "Aufsichtsrats des Zentrums für Leichtathletik in China", sagte dem "Stern": "Niemand kann sie daran hindern, wenn Sportler bei ihnen trainieren wollen."

Quelle: stern