Nikolaus Piper, Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung, liefert eine kluge Analyse zum Thema:
Globalisierung und Professionalisierung haben den Fußball verändert. Die Fans klagen darüber - und fördern dies zugleich.
Von Nikolaus Piper (SZ vom 05.Juni 08)
Die meisten Fußball-Fans werden dem Bundesinnenminister vermutlich zustimmen: Auch unter den Bedingungen des europäischen Binnenmarktes, so sagt Wolfgang Schäuble, solle man "nicht alle Lebensbereiche, speziell den Sport und den Fußball, nur nach den Gesetzen von Markt und Wettbewerb regulieren".
Fußball ist ein knallhartes Geschäft geworden, und mancher Deutsche sehnt sich nach der guten alten Zeit zurück, als Sport noch die schönste Nebensache der Welt war. Als die Stars auf den gleichen Bolzplätzen groß wurden wie man selber. Als Uwe Seeler seinem Verein, dem HSV, während seiner ganzen Karriere die Treue hielt. Und als der TSV 1860 München im gemütlichen Stadion an der Grünwalder Straße seine Erfolge feierte.
Genauso wie der Kapitalismus als Gesellschaftsentwurf vielfach auf Ablehnung stoße, scheine "der Wandel vom Fußball-Sport zum Fußball-Kapitalismus zumindest bei den Fans kaum Freunde zu finden," schreibt der Sportökonom, Blogger und Borussia-Mönchengladbach-Fan Jörg Quitzau. Nun sind Träume das eine, das wirkliche Verhalten etwas anderes.
Gerade das Wissen darum, dass Fußball noch mehr ist als Geschäft, macht einen Teil des Geschäfts aus. Besonders schön zeigt dies Wolfgang Schäuble.
Mit seinem Einwurf gegen die Herrschaft der Marktgesetze im Fußball setzte sich der Minister ja nicht für einen kapitalismus-freien Sport ein, sondern nur für ein Geschäftsmodell: die von den Gewaltigen im DFB verlangte Monopolisierung der Bundesliga-Vermarktung. Das ist nicht Wettbewerb, aber es ist ganz sicher Kapitalismus.
Der moderne Fußball-Kapitalismus begann in den achtziger Jahren mit einer technischen Neuerung: dem Kabelfernsehen. Plötzlich vervielfachten sich die Möglichkeiten, Fußball den Zuschauern nahezubringen und damit Geld zu verdienen. Einer der ersten, die dies in Deutschland verstanden, war der Medienunternehmer Leo Kirch.
Noch mehr als die Privatsender verdienten aber die Vereine an der Innovation. In der Saison 1985/86 zahlten ARD und ZDF noch umgerechnet sechs Millionen Euro für die Übertragung der Bundesliga, 1988/89 kassierten die Vereine bereits 20 Millionen Euro, heute sind es 400 Millionen. Parallel dazu schossen die Einnahmen aus dem Verkauf von Fan-Artikeln in die Höhe.
Der nächste Schritt war eine Ausweitung der Fußball-Märkte: die Einführung der europäischen Champions League 1992. Die besten Mannschaften aus den europäischen Ligen spielen seither während der ganzen Saison gegeneinander und kreieren so entsprechende TV-Einnahmen.
1995 öffnete der Europäische Gerichtshof mit einem Grundsatzurteil die Spielermärkte: Fußballer sind seither normale Arbeitnehmer, deren Freizügigkeit in Europa nicht eingeschränkt werden darf, etwa durch hohe Ablösesummen bei einem Vereinswechsel. Heute gibt es faktisch einen globalen Arbeitsmarkt für Fußballer. Nicht globalisiert wurde dagegen der Absatzmarkt für Fußball: Unterhalb der Champions League findet das normale Fußballgeschehen an den Wochenenden immer noch in nationalen Ligen statt, es werden nationale Meister und nationale Pokalsieger ermittelt.
Dieses Ungleichgewicht - globale Spielermärkte und nationale Absatzmärkte - veränderte das Kalkül der Vereine in Ländern mit vielen Fernsehzuschauern wie Italien, England und Deutschland. Sie müssen nicht mehr unbedingt selber ausbilden, wenn sie ihre Zukunft sichern wollen, sondern können weltweit Talente einkaufen. Die Clubs verhalten sich wie einige Großkonzerne: Innovationen werden nicht mehr entwickelt, sondern gekauft.
Das hat Konsequenzen für die Nationalmannschaften, sagt der Würzburger Ökonom Norbert Berthold: "Eine starke Liga garantiert nicht mehr ein wettbewerbsfähiges Nationalteam.
Darunter leiden vor allem große Länder. Ihre Vereine sind stark, ihre Ligen auch, ihre Nationalmannschaft nicht unbedingt. Ohne erfolgreiche Investitionen in heimischen Nachwuchs geraten die Nationalteams in Schieflage. Umgekehrt ist es bei den Kleinen: Dort leiden Vereine zumindest kurzfristig unter der Öffnung der Spielermärkte. "Die Nationalmannschaften werden allerdings stärker, weil die meisten Nationalspieler in den besten europäischen Ligen an Qualität gewinnen."
Das bedeutet nicht automatisch, dass große Fußballnationen wie Deutschland oder Italien nicht Europa- oder Weltmeister werden können, trotzdem erklärt Bertholds Analyse vieles: die jahrelangen Probleme der deutschen und der englischen Nationalmannschaft oder den Aufstieg junger Nationen wie Ghana, Togo oder Trinidad und Tobago. Der SC Freiburg - Beinahe-Aufsteiger in der zweiten Fußball-Bundesliga - zeigt seit Jahren, dass man mit einem Team von Spielern aus Billigländern in Deutschland relativen Erfolg haben kann.
Schlecht sieht es umgekehrt für Vereine in kleinen Absatzmärkten aus. Sie müssten "Talent zu den Preisen kaufen, die sich nun im Bieterwettbewerb der großen Klubs herausbilden", schrieben die Züricher Ökonomen Helmut Dietl und Egon Franck in der Neuen Zürcher Zeitung. "Bei der Verwertung des eingekauften Teams sind sie aber weiterhin auf den Verkauf ihrer Produkte in ihren kleinen Heimatmärkten beschränkt."
Mit anderen Worten: Der FC Basel wird nie die Spitze der Champions League erreichen. Das Kaufmännische ist zum Schlüssel des sportlichen Erfolgs geworden. Real Madrid, Barcelona und Manchester United sind mittlere Unternehmen, einige von ihnen börsennotiert. Star unter den deutschen Vereinen ist auch aus wirtschaftlicher Sicht der FC Bayern München. Erstaunlich allerdings, dass trotz der neuen Möglichkeiten der Globalisierung viele Clubs Verluste machen und am Rande des Ruins stehen. Borussia Dortmund, der einzige börsennotierte deutsche Verein, produzierte jahrelang negative Schlagzeilen.
Der russische Milliardär Roman Abramowitsch kaufte 2003 den defizitären Londoner Club FC Chelsea und investierte seither über 900 Millionen Euro. Das Geld ermöglichte es Chelsea, Spitzenmannschaften einzukaufen, die Verluste aber sind geblieben.
Möglicherweise gibt es ja Grenzen der Kommerzialisierung im Sport. Ein Fußball-Spiel ist zwar Unterhaltung wie ein Film oder ein Musical. Anders als im Kino kommt hier aber ein irrationaler Faktor dazu: Die Fans freuen sich nicht einfach nur an virtuosen Spielzügen und schönen Toren, sie sagen: "Wir haben gewonnen", wenn ihre Mannschaft gesiegt hat.
Kleine Jungs sammeln Autogramme von Ballack, Frings und Odonkor, große Jungs wie Abramowitsch kaufen sich einen Club als Trophäe. Betriebswirtschaftlich rational wäre für viele Vereine vermutlich die Einrichtung einer Europa-Liga; "aber ein Spiel München gegen Bukarest wird nie die Atmosphäre haben wie ein Lokalderby in Deutschland", sagt Bayern-Manager Uli Hoeneß. Die Bayern investieren daher auch, entgegen der reinen Logik der Globalisierung, massiv in die Ausbildung neuer Spieler.
Letztlich, so sagt Ökonom Norbert Berthold, ist die "Marktwirtschaft eine Monarchie: der Kunde ist König". Die Kunden - das sind die Fans. Sie sind widersprüchlich: Einerseits sehnen sie sich nach dem Grünwalder Stadion, andererseits wollen sie internationalen Spitzenfußball. Solange dies so bleibt, wird die Kommerzialisierung in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit weitergehen.




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