So, ich werde das ganze mal etwas historisch beleuchten, also nicht böse sein, wenn's etwas ausführlicher wird (ich bin halt schon so alt):
Wir in Deutschland sind verwöhnt was gute Torhüter angeht, deswegen ist es schon bedenklich, was derzeit abgeht. Soweit ich mich zurückerinnern kann, hatten wir zwar immer interessante Konkurrenkämpfe, standen aber nie vor einem großen Turnier da und hatten das Problem, dass sich keiner so richtig aufdrängt! Ich fasse mal die Turniere, an die ich mich zurückerinnern kann zusammen (diejenigen, denen ihre Zeit für etwas längere Beiträge zu kostbar ist, mögen es mir nachsehen und bitte einfach beim nächten Beitrag weiterlesen):
- 1986 hatten wir mit Toni Schumacher und Uli Stein 2 absulte Spitzentorhüter die absolut starke Persönlichkeiten waren die kein Blatt vor den Mund nahmen (und die sich im übrigen auch nicht leiden konnten). Das ganze gipfelte darin ,dass die Nummer 2 sich nicht mit dieser Rolle abfinden wollte und den Bundestrainer Franz Beckenbauer einen "Suppenkasper" nannte, womit er auch gleichzeitig sein vorzeitiges Rückflugticket von Mexiko nach Deutschland buchte!
Ich denke beim DfB werden solche Geschichten möglicherweise heute auch gerne hochgeholt, wenn es um Typen wie Rost oder Wiese geht (würde zumindest erklären, warum die beiden bei den Bundestrainern heute wenig Beachtung finden). Übrigens: Schumacher spielt ein überragendes Turnier, hat maßgeblichen Anteil, dass Deutschland ins Finale einzieht und leistet sich dort aber einen schweren Patzer, der Argentinien zum Weltmeister macht! (siehe Kahn 2002)
- 1988 profitiert dann Eike Immel (nachdem er vorher schon bei 3 Turnieren als 3. TW dabei war) davon, dass sich zwischenzeitlich auch Schumacher nach Veröffentlichung seines Buches Anpfiff (u.a. wg.unbewiesenen Äußerungen zum Thema Doping) seine internationale Karierre beenden muß und sich wie Uli Stein selbst disqualifizierte. Der heutige Dschungelcamp-Bewohner spielt bei der EM 1988 und beendet nach einem Streit mit Teamchef Franz Beckenbauer eine Nationalmannschaftskarierre (nachdem dieser in einem WM-Quali-Spiel 1990 dem jungen Bodo Illgner den Vorzug gab)
- 1990 werden wir mit diesem Bodo Illgner der damals 23 Jahre alt ist und gerade 15 Länderspiele auf dem Buckel hat Welmeister. Vielleicht sollte uns diese Tatsache mal etwas mutiger in Bezug auf junge Talente in der Nationalmannschaft machen.
- Berti Vogts, der nach der WM Beckenbauer als Teamchef beerbt, setzt bei der Torwartfrage auf Konstanz, vielleicht auch weil er mit den nach der Wende dazukommenden DDR-Spielen ohnehin viele neue Spieler in die Mannschaft integrieren muss. Bei EM 1992 und WM 1994 spielt Illgner wenig überzeugend. Viele sind der Meinung, die Nummer 2 Andreas Köpke sei der bessere Torhüter.
- Köpke spielt dann bei der EM 1996 (er ist mittlerweile schon 34 Jahre alt) endlich sein erstes großes Turnier. (und Deutschlad holt seinen bisher letzten Titel)
- Bei der WM 1998 setzt Vogts weiter auf Köpke, obwohl schon viele den jüngeren Oliver Kahn (der 1997 und 1998 zum besten Torwart der Bundesliga gewählt wird) fordern
- bei der EM 2000 spielt nun Kahn sein erstes großes Turnier. Er ist fast 31 Jahre alt und hat zu diesem Zeitpunkt schon einiges erreicht (3x Deutscher Meister 2x DfB-Pokal-Sieger, UEFA-CUP-Sieger, Champions-League-Finale, 4x Bester Bundesliga-Torhüter, Welttorhüter 1999). Ich denke das erklärt auch, warum Kahn, wenn er nach jungen Torhütern wie Adler oder Neuer gefragt wird, immer wieder betont, man müsse erstmal abwarten und die Jungs nicht nach ein paar Spielen als kommende Nationaltorhüter feiern.
Von 2000 bis 2006 hatten wir bei allen großen Turnieren Kahn und Lehmann (und zwar beide als Stammspieler von internationalen Top-Vereinen) alsNr. 1 und 2, also keinerlei Probleme!
Nun stehen wir also kurz vor der EM und wissen nicht so recht, und irgendwie haben wir keine so richtig überzeugende Lösung für unser Torwartproblem. Ein Problem ist meiner Meinung nach, dass wir im Torwartbereich immer sehr lange an verdienten Torleuten festgehalten haben, und so wirklich gute Männer ihre Chance bei einem großen Turnier erst viel zu spät erhalten haben (Köpke mit 34, Kahn mit fast 31, Lehmann mit 36). Die WM 1990 mit dem 23-jährigen Bodo Illgner zeigt, dass der Weg mit jungen Torhütern erfolgreich sein kann. Ich möchte diese Situation aber nicht mit der von Adler oder Neuer heute vergleichen, da Illgner zum Zeitpunkt der WM bereits über 3 komplette Spielzeiten Stammspieler beim 1.FC Köln war, der damals in der Bundesliga oben mitspielte und auch international vertreten war. Also lassen wir Lehmann die EM spielen, da wir keine bessere Alternative haben (so traurig das ist) und hoffen, dass aus einem der vielversprechenden Talente ein richtiger Weltklassemann heranwächst, der uns bei der WM 2010 zum Titel führt.