Welchen Anteil die Mentalität in solchen Situationen hat, ist schwer zu sagen? Denn hier gehts primär darum die Situation in Bruchteilen von Sekunden zu antizipieren, sich zu entscheiden und sie taktisch/technisch gut auszuführen.
Aber unbestritten ist wohl, dass Neuer die Torwartaufgaben um mehrere Dinge erweitert hat, wozu Mut und Risikobereitschaft in größerem Ausmaß vorhanden sein muß. Jedoch ist auch die Vita der beiden Keeper sehr unterschiedlich.
Neuer zeichnete seine besondere Fähigkeit offensiv zu denken aus, weil er ihm die Angreiferposition als Kind ebenfalls sehr viel Freude bereitet hat. Viele Keeper erleben die Angreifersituationen nicht aus dem Wettkampf heraus, sondern wenn sie beim Torwarttraining in diese Rolle schlüpfen. Hier nutzt Neuer seinen Vorteil im Spiel aus, in dem er eine Offensivaktion auch als Spieler erlebt hat, sodass er die größere Chance darin erkennt, sich aktiv einzuschalten anstatt sich abwartend ganz auf seine Reflexe zu verlassen.
Wenn also mehrere Faktoren zusammen kommen, dann wird es schwierig sie zu gewichten.
Für mich ist Neuer der ideale Keeper fürs ballorientierte Spiel, weil er die Torwartrolle sehr flexibel interpretiert. Mal ist er über seine Reichweite und Sprungkraft der sichere Torwart bei Distanzschüssen und mal ist er der Torspieler, der frühzeitig im Raum in Abstimmung mit seinen Vorderleuten agiert. Aber manchmal übertreibt er es auch! Da erinnere ich mich an eine Situation, die ihm fast die Teilnahme an der letzten WM gekostet hätte. Da schlägt der Gegner eine weite Flanke an die rechte Aussenbahn. Neuer sprintet sofort los, erreicht den Ball aber nur noch knapp, sodass ihm nur noch die Möglichkeit bleibt, den Ball ins Aus zu schlagen. Weil jedoch das Tor jetzt leer ist und der Balljunge dem gegnerischen Spieler sofort den Einwurf ermöglicht, will er sofort losspringen, rutscht jedoch aus und verletzt sich dabei an der Schulter. Es wird zwar kein Tor daraus, aber dennoch stellt sich die Frage der Risikoabwägung in dieser Situation? Mut und Dummheit können deshalb nah aneinander liegen. Neuer`s "Helfersyndrom" hätte nicht nur zum Gegentor führen können, sondern ihn auch zum Zuschauen bei der WM zwingen können, wenn die Verletzung schlimmer gewesen wäre.
Aber: no risk, no fun! Wenn sich Fragen nach den Kategorien richtig/falsch nicht vollständig beantworten lassen, dann ist man hinterher immer schlauer, wenn sich ein Keeper mal verschätzt hat. Denn wären Neuer/Ter Stegen jeweils rausgelaufen, hätten unsauber abgewehrt und der Nachschuß hätte zum Gegentor geführt, dann hätte man sich über die Frage unterhalten müssen, ob es nicht besser gewesen wäre, sich hier auf seine Reflexe zu verlassen?




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