Ich sehe das Stellungsspiel beim 0 : 1 etwas anders als Tobias. Für mich stand er zu tief, sodass die zu verteidigende Torfläche zu groß war. Allerdings findet man diese tiefe Stellung immer häufiger. Einige Tore des deutschen Teams resultierten aus der "passiven Positionierung" des nordirischen Keepers. Durch eine etwas höhere, aktive Positionierung kann die dann kleinere Torfläche besser verteidigt werden. Viele Torleute trauen sich diese Position, bei der sich mehr Druck auf den Ball ausüben können, jedoch nicht zu. Denn aufgrund der geringeren Distanz zum Schützen werden selbst kleinste Fehler (z.B. Arme lang nach unten statt angewinkelt) in der Körperhaltung und dem Bewegungablauf deutlich.

Da ist ihnen der Kommentar "unhaltbar" zum Gegentor in Anbetracht ihrer weiteren Karriere lieber. Viele Torleute sind so ausgebildet worden, dass sie lieber passiv sein sollen, weil der Gegner seine Schüsse nicht immer präzise genug plaziert. Ähnlich ist das Entscheidungsverhalten beim "blocken"! Auch hier drücken sich viele Keeper gern, denn wenn sie dieses Duel verlieren droht ihnen der Spott der Kommentatoren und Zuschauer.

Letztere sehen eine Torwart lieber zu spektakulären Bällen fliegen, wenngleich der Keeper und seine Trainer sehr viel Arbeit darin investieren sollten, auch den "dreckigen Ball" zu halten. Denn in der Summe macht es keinen Unterschied, wenn der Keeper einen Volleyschuß aus dem Winkel schießt, dafür aber einen anderen Ball in der Tormitte über die Linie kollert.

Die Torwart-Techniken haben sich in den letzten 10 Jahren kaum verändert haben. Die meisten Fehler passieren im Entscheidungsverhalten, weshalb dort das meiste Potenzial steckt.

Deshalb kann es bei der ergebnisoffenen Analyse auch darum gehen, ob es alternative Möglichkeiten zur Torverteidigung gegeben hätte, deren Erfolgswahrscheinlichkeit größer gewesen wäre? Denn die Aussage, ob der Ball dann wirklich gehalten worden wäre, ist nachträglich nicht möglich.

Weil aber der Keeper Teil der Abwehr ist, muß die gesamte Situation von der Entstehung bis zum Torabschluß in Betracht gezogen werden. So gab Kroos im Interview die Aussage: "die Ballverteidigung fängt schon ganz vorn an". Alle müssen Druck auf den Ball ausüben! Drückt sich nur einer davor, kann der Gegner dies für sich ausnutzen. Leider war es wohl ausgerechnet Kroos, der den Ball zentral in einen vom Gegner besetzten Raum klärte, sodass dieser mit einem präzisen Schuß erfolgreich war.

Ansonsten konnte man nicht feststellen, dass Nordirland sich irgendein Konzept gegen Deutschland zurecht gelegt hatte, wie beim Spiel gegen die Niederlande. Nur den vielen Quer- und Rückpässen der Deutschen in der ersten Halbzeit, bei denen das Pfeifkonzert der Zuschauer kaum zu überhören war, ist es zu verdanken, dass man nicht schon höher zurück lag. Nach den ansonsten schwächeren 2. Halbzeiten der Deutschen war man sich diesmal einig, doch etwas mehr Druck aufs gegnerische Tor auszuüben. Besonders Gnabry freute sich über so viel Platz im Zentrum. Was das Ergebnis wert ist, wird man wissen, wenn es gegen europäische Top-Teams antritt.