Ich will an dieser Stelle mit euch mal einen kleinen Ausflug in den Zusammenhang zwischen psychischen Druck und Leistung wagen. Ich denke das ist einfach erforderlich, um zu verdeutlichen, welche Rolle der „Kopf“ wirklich spielt. Wie stellt sich also der Zusammenhang zwischen dem empfundenen Druck und sportlicher Leistungsfähigkeit dar?
Dazu müssen wir drei Begriffe voneinander trennen: Stress, Angst und Druck
Der Begriff Stress wird in der Regel sehr weit gefasst und beschreibt Situationen, die mit erhöhten Anforderungen an eine Person verbunden sind, wobei die kognitive Bewertung der Situation darüber entscheidet, ob dieser Stress als Herausforderung, Bedrohung oder Schaden eingestuft wird. Angst resultiert dann, wenn die Stresssituation als Bedrohung wahrgenommen wird. Diese Bewertung kommt durch einen Vergleich zwischen der Ereigniseinschätzung (z. B. „Spiel des Lebens“) und der Ressourceneinschätzung (also „was kann ich“) zustande.
Beim Begriff Angst müssen wir zwei Bereiche unterscheiden: Zunächst ist zwischen Angst als Zustand (Zustandsangst) und als Persönlichkeitseigenschaft (Ängstlichkeit) zu unterscheiden. Dabei zeigt sich, dass ängstliche Personen in bedrohlichen Situationen mit einem stärkeren Anstieg der Zustandsangst reagieren. Bei der unmittelbaren Auswirkung von Angst zeigt sich eine kognitive Komponente (Besorgnis) und eine somatische (körperliche) Komponente; letztere wird auch als „physiologische Erregtheit“ bezeichnet.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass in Wettkampfsituationen häufig Bedingungen vorliegen, die zu einer gesteigerten Bedeutung der Leistung führen. Damit ergibt sich eine Stresssituation, die in Abhängigkeit der kognitiven Bewertung entweder als Herausforderung oder als Bedrohung wahrgenommen wird. Im letzteren Fall resultiert daraus ein Anstieg der Zustandsangst, was in den beiden Komponenten der Angst zum Ausdruck kommt.
Der Begriff Druck ist im Grunde nur die Überschrift, über die oben beschriebenen Vorgänge. Wenn im Folgenden von Druck oder Drucksituationen gesprochen wird, dann gehe ich immer von einer als belastend wahrgenommenen und zu einem Anstieg der Zustandsangst führenden Situation aus; wie man einen positiven Umgang mit diesem Thema findet, wird an anderer Stelle ein Thema werden. Sobald wir Druck empfinden erhöht sich unsere physiologische Erregtheit; zur Verdeutlichung eine kleine Grafik.
Für uns Torhüter sind zwei Bereiche von elementarer Bedeutung: Zum einen müssen wir komplexe Spielsituationen analysieren und die richtigen Schlüsse für unser Verhalten daraus ziehen ( Beispiel: Beim Eckball brauchen wir nicht nur die Flugbahn des Balles, sondern sollten nach Möglichkeit auch noch das Verhalten von Freund und Feind richtig einschätzen; wer kommt wie an den Ball, wer läuft wohin und wo ist unser Laufweg zum Abfangen usw.). Zum anderen müssen wir in der Lage sein, komplexe koordinative motorische Leistungen (unsere Torwarttechniken) in hoher Geschwindigkeit umzusetzen, um Bälle abzuwehren.
Eine zu hohe Besorgnis führt zur Störung von den Aufmerksamkeitsprozessen, die für eine erfolgreiche Ausführung einer Aufgabe erforderlich sind. Dies macht sich insbesondere bei der Bewältigung komplexer Spielsituationen bemerkbar. Diese Aufmerksamkeitsstörungen führen nämlich dazu, dass erforderliche Informationen nicht zur Verfügung stehen oder nicht angemessen verarbeitet werden können. Konkret hat das drei Folgen, die sich leistungsmindernd bemerkbar machen.
Eine weniger selektive Wahrnehmung führt zu einem Anstieg der zu verarbeitenden Informationsmenge, sodass für die Verarbeitung der relevanten Informationen keine ausreichenden Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Die aufgenommene Informationsmenge bleibt gleich, jedoch wird der Aufmerksamkeitsfokus auf unwichtige Informationen gerichtet. Dabei werden bei Personen mit erhöhter Angst selbstbewertende Prozesse wirksam, die Aufmerksamkeitskapazitäten benötigen. Dies führt dann zu einer Behinderung bei der Verarbeitung von Informationen zur eigentlichen Aufgabenlösung.
Mit zunehmender emotionaler Aktivierung kommt es zu einer Verengung bei der Aufnahme und Verarbeitung von Umweltreizen. Dies kann anfangs zu einer Leistungssteigerung führen, indem der Aufmerksamkeitsfokus auf aufgabenrelevante Informationen reduziert wird und irrelevante Informationen ausgeblendet werden. Eine weitere Verengung des Fokus führt dann dazu, dass aufgabenrelevante Informationen nicht mehr verarbeitet werden und somit Leistungseinbußen entstehen.
Ensteht durch einer dieser Faktoren ein Tor und man spricht den Torhüter darauf an, so wird er uns in folgende Richtung antworten: „den hab ich übersehen“ , „ich dachte, der kommt da nie hin“, „das habe ich irgendwie nicht registriert“ etc. oder aber „ich war mir nicht sicher, ob...“. Von Außen betrachtet, nimmt man dies oft als Zögern des Torhüters wahr, das man auf ersten Blick nicht erklären kann; in Wahrheit spielt das gerade beschriebene Geschehen in unserem Kopf, die entscheidende Rolle. Bemerkt der Torwart selbst, dass er Probleme hat, führt das zu einer weiteren Verunsicherung und das Problem verschärft sich. So entstehen dann viele Formkrisen.
Nun komme ich zu den motorischen Auswirkungen von Druck und damit zu den Problemen, die im Bewegungsablauf und der Ausführungsgeschwindigkeit der Techniken sichtbar werden. Fachlich gesehen stellt eine Torwarttechnik eine in sich geschlossene Fertigkeit dar, da sie vom Beginn bis zum Ende als eine Handlung abläuft; wir Torleute sprechen dabei immer von einem Automatismus, den wir abrufen. Bei diesen Fertigkeiten sind die Umwelteinflüsse stabil, sodass die Bedeutung der Aufmerksamkeitsressourcen nur noch als minimal einzustufen ist.
Hier ist davon auszugehen, dass die Aufmerksamkeit in Drucksituationen auf den Ausführungsprozess gelenkt wird (internaler Fokus) und damit wird der automatisierte Handlungsablauf gestört, was zu einer Verminderung der Leistung führt. Um diesen Vorgang zu verstehen, werfen wir einen Blick darauf, wie wir den Automatismus erlernt haben. Die qualitativen Unterschiede von Bewegungsausführungen im Lernprozess werden als das Resultat unterschiedlicher Informationsverarbeitungsprozesse gesehen. Dabei geht man davon aus, dass langsame und wenig fließende Bewegungen zu Beginn des Lernprozesses eine aufmerksam kontrollierte „Schritt für Schritt“-Ausführung widerspiegeln. Durch zunehmende Automatisierung mittels häufigen Trainings, entsteht eine scheinbar mühelose, schnelle und fließende Bewegungsausführung. Eine Zuwendung der Aufmerksamkeit ist dann nicht mehr erforderlich, sie kann auf andere Aspekte (z. B. die Position der Mitspieler) gelenkt werden; dies wird auch als externaler Fokus bezeichnet.
In Drucksituation kommt es also zu einer leistungsmindernden Fokusverlagerung von außen nach innen, die noch einen weiteren Effekt auf uns hat. Nur wenn wir nach außen fokussiert sind, können wir antizipieren und das ist enorm wichtig für den rechtzeitigen Beginn der Aktion. Denn die Grundlage unseres Handelns ist die Vorwegnahme (=Antizipation) eines zeitlich nachfolgenden Effektes, die man als Bewegungs-Effekt-Assoziation bezeichnet. Nach dem Erwerb derartiger Bewegungs-Effekt-Assoziationen reicht alleine die Vorstellung des angestrebten Effektes aus, um diejenige Bewegung zu aktivieren, die diesen Effekt erfahrungsgemäß verlässlich erzeugt. Jetzt haben wir ganz nebenbei auch geklärt, was sich hinter dem Begriff „Timing“ verbirgt. Stellt man sich das jetzt als Regelkreis vor, so beinhaltet eine einzige komplexe Torwartaktion nahezu unvorstellbar viele solcher aneinandergeketteter Regelkreise, da für jede einzelne Muskelbewegung ein solcher Regelkreis benötigt wird. Sobald wir unseren Fokus nach innen richten, greifen wir in diese hochkomplizierte Struktur ein.
Ein weiteres Problem, das unter Druck auftritt, ist das „neuromotorische Rauschen“, das als Sammelbegriff für alle Ungenauigkeiten verwendet wird, die auf unterschiedlichen Ebenen des motorischen Systems, von kortikalen Verarbeitungsprozessen bis hin zur Aktivierung motorischer Einheiten, entstehen. Der Rauschanteil im motorischen Signal wird durch physische, biomechanische und psychologische Faktoren beeinflusst. Dieser Zusammenhang ist uns aus Alltagssituationen bekannt, wenn von der sprichwörtlichen „zittrigen Hand“ in wichtigen, aufregenden oder emotionalen Situationen gesprochen wird; auch das Zittern beim Einfädeln eines Fadens in die Nadel hat diesen Hintergrund. Vereinfacht ausgedrückt kommt es dabei zu einer Gliedmaßensteifigkeit, die sich aus der statischen Muskelaktivität und einem konstanten Verstärkungsfaktor ergibt. Die statische Muskelaktivität wird durch Kokontraktionen der antagonistischen Muskulatur der Gliedmaßen erzeugt und ist unsere muskuläre Grundaktivität, die keine Veränderung des Bewegungszustandes bewirkt (im Gegensatz zur dynamischen Muskelaktivität). Diese Probleme führen letztendlich zu Fehlern in der Ausführungsgeschwindigkeit und der Bewegungsgenauigkeit (z. B. unsauberer Griff beim Fangen).
So genug für heute – jetzt habe ich euch mächtig zugetextet, aber das Thema ist nunmal sehr komplex. Ich hoffe, ich konnte es soweit vereinfachen, dass es verständlich ist.