Hm, hm... Wenn ich mir so die letzten Beiträge durchlese, welche durch das Spiel der N11 und des Eurosportartikels ausgelöst wurden muß ich sagen, daß ich da mal eine andere Sicht der Dinge habe.
Ich persönlich finde den Eurosportartikel nicht gut. Er ist unpassend und vom inhaltlichen Vergleich unangebracht.
Ja, es war aufgrund der Ereignisse vor dem Spiel ganz klar unangebracht einen einzelnen Spieler auszupfeifen, ob er nun Neuer, Ballack oder Gomez geheißen hätte. Aber hier sofort eine Diskussion über den Zusammenhang von Pfiffen, Depressionen und Enkes Freitot in Gang zu bringen halte ich für überflüssig und sachlich falsch! Robert Enke beendete sein Leben ganz sicher nicht durch Pfiffe der Fans und sportlichen Druck. Um so tief in Depressionen zu stürzen bedarf es bei weitem mehr Faktoren, welche primär im privaten Umfeld zu suchen sind. Ich kann das auch sagen, da ich mich mit solchen Erkrankungen besser auskenne, als mir lieb ist!
Die Pfiffe gegen Gomez sind aufgrund seiner Leistungen im Dress der Nationalmannschaft durchaus verständlich. Man muß es hier einmal aus der Sicht der Fans sehen und Schalke und sein Umfeld sind ein tolles Paradebeispiel. Da sind die Tribünen voll mit Stahlkochern & Kumpels die sich ihr kleines Geld mit Knochenharter Arbeit verdienen, da stehen in der Nordkurve die Harz-IV-Empfänger die aufgrund der wirtschaftlichen Misslage ihren Job verloren und sich die - absolut überteuerten - Länderspielkarten aus Leidenschaft für den Sport (und weil der Fußball für diese Menschen oftmals der letzte Halt im Leben ist) im wahrsten Sinne des Wortes vom Mund abgespart haben. Ja, und dann wechselt der Bundestrainer einen Multimillionär ein, der in sämtlichen Partien incl. der EM nur durch eins aufgefallen ist: absolute Nullleistung! Mit Aktionen die schon an Arbeitsverweigerung grenzen oder Unvermögen wiederspiegeln. Natürlich wissen wir, daß er es nicht extra macht. Es gibt Phasen (die auch länger dauern können), in denen einem einfach nichts gelingt. Aber genau das muß ich als Trainer sehen! In der N11 hat ein solcher Spieler dann einfach nichts verloren. Da kann ich den Unmut der Fans absolut verstehen. Ein Spieler der sich den A... aufreißt muß gehen und ein Lust- und Durchschlagsloser Spieler kommt. Wie sollen sich die Fans wehren? Wie sollen sie sagen: Wir wollen Leistung sehen? Freundliche Briefe, und "Bitte, bitte" bringen da nichts! Hier ist die einzige Chance den Unmut zu äußern das Pfeifen.
Ja, aufgrund des Hintergrunds am letzten Mittwoch war das Pfeifen vielleicht unangebracht, aber alles in allem war es verständlich. Den Fans mache ich keinen Vorwurf. Dem Bundestrainer schon, denn die Reaktion der Fans war klar vorrauszusehen. Ich selbst konnte mir eine Schimpfattacke vor dem Bildschirm auch nicht verkneifen. Denn Gomez im Sturm den N11, ist so sinnvoll wie ein paar Ruder in einem Düsenjet.
So und nun noch einmal zu dem Artikel und einigen Meinungen hier im Thread. Wegen der Pfiffe der Fans hat sich noch kein Fußballer vor einen Zug geworfen und wird es sicher auch nicht tun! Ja, aufgrund der direkten Verbindung zur Öffentlichkeit ist das Profileben nicht leicht und der Druck ist sicher recht hoch. Das der eine oder andere labile Charakter daran zerbrechen kann ist auch Fakt. Aber man muß das Ganze auch ein wenig relativieren: Stimmt das private Umfeld, hat man einen guten Ausgleich zu dem BuLi-Druck. Hinzu kommt wie das Umfeld im Verein ist. Ist dieses Intakt, wird der Druck auch nicht zu hoch. Der Einfluß der Fans auf den Leistungsdruck der einzelnen Spieler ist marginal. Hinzu kommt, daß der Arbeitsplatz eines Fußballers vertragsgebunden ist und finanziell verdammt hoch dotiert wird. Eine Jobangst an sich, ist hier defintiv nicht gegeben!
Nun vergleichen wir das mal mit einem Stahlkocher aus dem tiefsten Ruhrpott. Der Arbeitnehmer malocht täglich seine 8 Std + Überstunden. Er leistet eine körperlich extreme Arbeit unter extremen Bedingungen, welche nicht selten gesundheitliche Folgeschäden nach sich zieht. Der Verdienst reicht um seine Familie über die Runden zu bekommen. Reich wird man so aber weiß Gott nicht! Und dann bricht die Wirtschaft zusammen. Jeden Tag liest man von Massenentlassungen in den Zeitungen, sieht seine Arbeitskollegen die Sachen packen und fragt sich jede Nacht: "Wann bin ich dran? Wie ernähre ich dann meine Familie? Was werden die Nachbarn sagen? Was sagt meine Frau? Habe ich versagt?" So, nun frage ich euch: Wer von beiden hat hier mehr Druck? Wer wird wohl eher an seinen Ängsten und der Situation zerbrechen?
Mich regt es immer wieder auf, daß bei Bundesligaspielern von einem übermäßigen Leistungsdruck gesprochen wird. Der Leistungsdruck des kleinen Arbeiters wird nicht bedacht. Sorry, wer ein paar Mille im Jahr verdient, kann gar keinen Leistungsdruck haben! Das einzige was passieren kann, ist daß das Umfeld nicht stimmt. Wie es wohl auch bei Sebastian Deisler in München der Fall war. Hier kann die DFL nachbessern, aber garantiert nicht bei den (zum Teil verständlichen) Reaktionen der Fans!
So, nu stopp ich lieber, sonst rege ich mich nur noch mehr auf. Wer mehr über Depressionen und wie sie zustande kommen und was sie bewirken wissen möchte kann mich gerne PN anschreiben. Dem einen oder anderen werde ich es gerne schildern. Aber eins kann ich euch sagen: Durch ein paar Pfiffe ist noch niemand Depressiv geworden!