Als Torwart noch Zeit hatte - Ein kurzer Essay über gestern und heute
Einige der Teilnehmer hier im Forum werden sich vielleicht noch an die glorreichen 70er und 80er Jahre erinnern, in denen Sepp Maier, Peter Shilton, Dino Zoff und andere Grössen das Tor hüteten und mit abenteuerlichen Lufteinsätzen und heruntergerollten Socken ohne Schienbeinschoner für Staunen sorgten. Es waren Zeiten, die als Torwart nicht einfacher waren als heute. Es gab Annehmlichkeiten und Unahnemlichkeiten. Ganz so wie es heute doch eigentlich auch ist.
Heute wird viel über Flatterbälle geschrieben und geredet und wenn man die unmöglichen Kurven, die ein von den Ch. Ronaldos und Co. getretener Ball in der Luft vornimmt in Slow-Mos und Super-Slow-Mos sieht, dann kann einem als Torwart manchmal schon Angst und Bange werden. Und mit jedem neuen Ball, der pro Fussballgrossanlass auf den Markt geworfen wird, scheint es noch ein wenig mehr zu flattern. Der Ball für Südafrika, „Jabulani“, ist wohl, ich habe ihn selber noch nie in den Händen gehabt, wiederum ein Sonderling sondergleichen.
Nun, als ich als Dreikäsehoch das Tor hütete, da waren die aus Leder gefertigten, genähten Bälle mit ihren 5-Eck-Plätzchen im Einsatz. Je nach Alter des Balls und Wetterlage hatten auch diese Dinger ihren besonderen Reiz. Wenn es richtig schön nass war, dann sog sich der Ball mit Wasser voll und wurde unglaublich schwer – viel Spass beim Abschlag. Wer jemals so einen Ball auf die Nase bekam, der wusste wo es geläutet hatte! Und die Oberfläche war manchmal derart seifig, dass von Halten kaum die Rede war. Hatte der Ball ein gewisses Alter erreicht, so zeichnete er sich oft als eiförmiges, pickelhartes Etwas aus, das lustig vor einem herumsprang...! Ein „Flatterball“ der ganz besonderen Sorte.
Damals hatten wir übrigens noch richtig Zeit. Der Ball durfte vom unsicheren Verteidiger dem Torwart in den Sechzehner zugespielt werden und dieser konnte den Ball mit den Händen aufnehmen, durch den Strafraum spazieren, mit dem Ball tippelnd und irgendwann nach seinem gefühlten Gutdünken den Auskick vornehmen oder einen kurzen Auswurf wagen, nur um den Ball gleich wieder zugespielt zu bekommen. Dem Zeitspiel, auch heute noch ein beliebtes Mittel, nur anders gelöst, war damit natürlich Tür und Tor geöffnet. Schaut euch mal Bilder aus der erwähnten Zeit an, das sieht manchmal richtig lustig und laaaaaangweilig aus...! Und über besonderes technischen Können im Fuss verfügten damalige Torhüter so gut wie gar nicht. Ein grosser Gegensatz zu heute (auch wenn Urgestein Udo Lattek das stets anders sieht, so sind die meisten der heutigen Topleute im Tor gute Fussballer).
Ich habe übrigens noch das Wehklagen in den Ohren, damals, als die neue Rückpassregel eingeführt wurde. Oje, was war das für ein Aufschrei, nicht nur bei den Goalies, aber vor allem in den unteren Ligen, wo beschränktes technisches Können freilich weiter verbreitet ist als ganz oben.
Kommen wir zu des Torhüters liebstes Kind, dem Handschuh, von uns liebevoll HS genannt. Nun, damals, ja damals waren das zwar auch Handschuhe, aber so interessante Bezeichungen wie Aufpralldämpfung, Grip oder Aquabelag waren Fremdwörter. Ich erinnere mich amüsiert an meine ersten Torwart-HS, rote Dinger aus irgendeinem dünnen, roten Kunststoff auf den eine schwarze, gummierte Fläche aufgepappt war, die mit kleinen Noppen versehen war, ganz ähnlich jenen, die man zweitweilig auf Pingpong-, Verzeihung, Tischtennisschlägern fand, deren Belag umgekehrt aufgeklebt war. Aber natürlich war unsereins stolz wie Anton, mit den Dingern auf dem Bolzplatz zu erscheinen. Naja, und hat man seine HS mal vergessen oder waren sie verschliessen, dann stand man halt auch mal ohne HS im Tor.
Die Kombination von den erwähnten, lustigen Handschützern und dem seifig schweren Lederball mit Saugfunktion war manchmal schon abenteuerlich. Aber irgendwie beschwerte sich damals niemand über zu wenig Grip und flatternde Bälle.
Es war einfach so wie es war. Nicht unbedingt besser, aber halt anders.