Also ich fand gerade das Spiel Brasilien gegen Nordkorea sehr sehr gut anzuschauen. Wenn man sich mit den Teams und ihrer Ausrichtung im Vorfeld ein bisschen auseinandersetzt, dann wird man (im Gegensatz zur deutschen Presse und den übertragenden Anstalten, die ja gestern ausnahmslos fassungslos und schockiert waren) auch nicht zu der Peinlichkeit getrieben, von einem derartigen Spielverlauf überrascht zu werden.

Nordkorea hat voll den Erwartungen entsprochen, im Guten (hohe Dynamik und Laufbereitschaft, enorme Ballsicherheit und überfallartige Konter, 5-3-1-1 System, etc.) wie auch im Schlechten (Standardsituationen, Anfälligkeit über die Flügel, Keeper). Was mir sehr gut an ihnen gefallen hat: Sie haben bis zum 0:1 nie den langen Ball in die Spitze als Mittel gewählt, wie es bei solchen Teams (siehe Griechenland, aber auch Uruguay, Paraguay) eigentlich üblich ist, sondern sich konsequent bei Ballgewinn nach vorne kombiniert, teil schon aufreizend ballsicher und elegant. Und wenn sie mal die Chance hatten, haben sie ein richtig gutes Mittelzonenpressing aufgezogen, leider aber viel zu selten.

Brasilien hat ebenfalls komplett den Erwartungen entsprochen, das System war vorhersehbar, ebenso die Art Fussball zu spielen. Was zu kritisieren war, war vor allem in der ersten Hälfte der Mangel an Geschwindigkeit beim Spiel in die Spitze und bei den Seitenwechseln sowie Dungas Fehler, die Außenverteidiger nicht schon früher nach vorne zu schieben und so mehr Druck auf die Schwachstelle in jedem System mit 3-5 Verteidigern auzuüben, die Außenverteidigung. Spieler im Zentrum (Kaka, Luis Fabiano) haben in solchen Spielen eigentlich schon verloren, daher kann ich die Kritik an Kaka nicht ganz nachvollziehen. Wenn der im Zentrum den Ball bekommt, sei es mit Rücken zum Tor oder in den Lauf, dann hat er 3 Innenverteidiger plus 3 zentrale Mittelfeldspieler um sich, die topfit und extrem dynamisch und schnell sind. Dazu fehlen Anspielstationen in die Tiefe, weil im Zentrum nur noch Fabiano war. Das ergibt bis zu 6 Spieler die sich um 2 Gegner gekümmert haben. Robinho war ja mehr klassischer Flügelstürmer mit freier Rolle, den hatte man kaum im Zentrum.

Und genau aus diesem Grund ging es erst nach der Halbzeit richtig los, als Dunga auf Dreierkette umgestellt hat und Bastos und Maicon mehr Druck nach vorne machen konnten. Das hat letztlich auch zum Tor geführt. Da Robinho auf links den Raum nach vorne quasi immer blockiert hat und Bastos dort ebenso drauf geschoben hat, musste irgendwann mal über rechts Platz sein, denn dort spielte Elano ja etwas in die Mitte versetzt, somit hatte Maicon die komplette Außenbahn frei um hinter die Abwehr zu kommen. Brasilien (und das rechne ich ihnen enorm hoch an) hatte die Geduld auf genau diesen Moment zu warten und dafür Pfiffe in Kauf zu nehmen. Das Tor wäre irgendwann gefallen, auch ohne den TW-Fehler, den man konnte von Minute zu Minute mehr sehen, wie die Außen von Nordkorea dem Druck nicht mehr gewachsen waren und sie sich immer weniger entlasten konnten, dazu kamen Fehler im Spielaufbau.

Nach dem 1:0 hat Brasilien dann hoch konzentriert weiter gespielt, den Druck hochgehalten, das Tempo sogar noch verschärft und dann das 2:0 folgerichtig nachgelegt. Dass sie dann die letzten Minuten nochmal ins Schwimmen gekommen sind war natürlich unnötig.

Aber insgesamt ist Brasilien schon beeindruckend. Die haben einen der besten Keeper des Turniers, wenn nicht den besten. Davor eine richtig gute Innenverteidigung, mit Maicon einen der zwei besten Rechtsverteidiger und mit Bastos einen extrem offensiv starken Mann für die linke Seite. Wenn sie, gegen bessere Teams, ihr Konterspiel durchziehen können, wird man erstmal feststellen wie gut die wirklich sind. Und selbst gegen defensiv agierende Teams haben sie die Möglichkeiten jederzeit einen Geniestreich wie vor dem 2:0 aus dem Ärmel zu schütteln. Das Team ist nur da um Weltmeister zu werden, nicht um als Zirkusattraktion aufzufallen. Und deswegen: Weltmeister wird man nur über Brasilien, da bin ich mir sicher.

Und zu Nordkorea: An denen werden sich die Elfenbeinküste und Portugal richtig weh tun. Die Elfenbeinküste seh ich hier aber mit Vorteilen, wegen ihrer physischen Dominanz. Die werden über Standards und Drogba zum Erfolg kommen, haben zudem eine gute Abwehr. Portugal...da seh ich im Moment nicht wie die Nordkorea aus dem Spiel heraus schlagen können. Ich würde mal sagen, Nordkorea wird Endstation für Portugal und die Elfenbeinküste kommt weiter.

Ansonsten ist das Niveau bei der WM natürlich nicht der Bringer bisher, aber das wars doch bei keiner WM über alle Spiele. Es waren auch 2006 nur ein paar Schmankerln und der Rest war von Grottenkick bis Durchschnittsgebolze. Italien hat enttäuscht, aber es war zu erwarten dass die spielerisch keine Bäume ausreissen. Argentinien hat wie Deutschland auch Probleme in der Umschaltbewegung auf Defensive, ist aber offensiv ganz ganz stark. Die Afrikaner, naja. Elfenbeinküste ist wie immer gut dabei, die anderen kann man wohl streichen, bei Südafrika muss man schauen aber da seh ich eher Mexiko vorn. Holland kann man nie abschreiben, aber auch da kann es Probleme geben. Spanien wird interessant, die haben mit Abstand am meisten Klasse im Kader. England wird sich durch die individuelle Klasse etwas durchwursteln und dann irgendwo auf dem Weg ins Finale hängen bleiben.

Die Favoriten bleiben trotzdem die gleichen wie eigentlich immer. Überraschungen könnte es dieses Jahr von Chile geben, die eine geile Quali gespielt haben und eine interessante taktische Variante anbieten, oftmals im klassischen Ajax-System 3-4-3 mit Raute und drei klassischen Stürmern auflaufen. Nordkorea hat weiterhin Überraschungspotential und Slowenien traue ich ein bisschen was zu, ebenso Südkorea. Alle anderen üblichen Verdächtigen haben sich erstmal nicht mir Ruhm bekleckert, aber das kann ja noch worden. Es wird sicher noch das eine oder andere Highlightspiel geben, aber mehr als 5 bis 6 solche Spiele hat eigentlich keine WM zu bieten und den Rest der Spannung bezieht das Turnier doch sowieso dann aus der KO-Phase, weniger aus der Klasse der Spiele.