Ein paar Gedanken angesichts der Reaktionen hier. Ich hoffe niemand fühlt sich über die Maßen angegriffen, dass ich die Äußerungen hier mal als Anlass zu einem Grundsatzimpuls nehme, der a.) zweifelsohne unausgereift ist und b.) auch gerne ignoriert werden kann. So feel free, folks.

Was für mich völlig unverständlich ist, ist diese immense Erwartungshaltung, die führwahr absonderliche Ausmaße angenommen zu haben scheint und welche sich vermeintlich logisch aus der vergangenen Saison zu ergeben scheint. Für mich ist das nämlich keineswegs ein evidenter Vergleich. Der FC Bayern spielte in der vergangenen Runde eine über weiter Strecken überragende Saison, deren final gutes Ergebnis die durchaus existenten schwächeren Auftritte, die Niederlagen (hinsichtlich ersten Punktes: Stuttgart im Pokalfinale, Gladbach; hinsichtlich letzteren Punktes Leverkusen oder Arsenal [Rückspiel]) immer noch zu kaschieren scheint - zumindest retrospektiv. Daher lautet der allgemeine Tenor, bei den Fans offenkundig ebenso wie bei neutralen/kritischen Beobachtern: Die Saison 2012/13 war Weltklasse. Also generell. In nahezu jeder Hinsicht. Und während man das noch so sehen mag (und ich werde darlegen, wieso sich das für simplifiziert halte), geschieht in der öffentlichen Wahrnehmung etwas, was meiner Ansicht nach deutlich dramatischer ist: Die Saison 2012/13 wird zum Maßstab für alles Kommende. Mich persönlich erinnert das immer an die Erwartungshaltung, die mit der Nationalmannschaft unter Löw verknüpft ist und sich sehr grob skizziert auf die simple Gleichung "Potenzial generiert invariabel Erfolg" runterbrechen zu lassen scheint. Ich vermute der von mir notabene geschätzte Anadur wäre der Erste, der einer solchen Simplifizierung widersprechen würde - wenn nicht: ich tue dies definitiv und vehement. Der - bleiben wir beim Beispiel - FC Bayern, der 2012 im Finale die deutlich überlegene, signifikant größeren Aufwand betreibende Mannschaft war, wurde geschlagen. Trotz größerer individueller Klasse gegenüber Chelsea, trotz der - das postuliere ich mal - gefälligeren Spielanlage resp. des gefälligeren Ansatzes. Trotz des vermutlich, das ist natürlich empirisch schwierig zu halten als These, größeren Spielerpotenzials. Solche Dinge passieren im Fußball. Und nachher wissen wir dann, dass es an adäquaten IV gefehlt hat und Tymoshuk das hat machen müssen und nachher wissen wir dann nach der EURO, dass die Kroos-Manndeckungs-Alternative falsch war (obwohl die theoretische Überlegung durchaus Sinn ergab, ziemlichen sogar, die Ausführung war nur mangelhaft), Ich persönlich finde, dass die Saison 2012/13 eine Ausnahmeerscheinung war, die tendenziell schwierig zu wiederholen ist, insbesondere dann wenn man berücksichtigt, dass eine - zumindest meiner Auffassung nach - integrale Komponente der Leistung der Mannschaft im mentalen Bereich zu verorten war, nach diesem Trauma des verlorenen Finales "dahoam", schien der Wille doch enorm ausgeprägt zu sein, dieses Erlebnis durch einen CL-Erfolg auszumerzen.

Wenn ich jetzt noch berücksichtige, wie großartig diese Mannschaft, i.e. die Bayern 2014, über weite Strecken der Bundesligesaison und auch der Championsleague-Saison agiert hat - wobei kritisch anzumerken wäre, dass dies in der "medialen" öffentlichen Meinung durchaus überhöht und unnötigerweise glorifiziert worden ist - dann würde ich mich sehr zurückhalten über dieser Mannschaft den Stab zu brechen.

Um mal einen anderen Aspekt aufzugreifen, nämlich das was gerade bei xirram durchscheint: Es gibt (und das würde ich mit dem in Zusammenhang bringen, was ich bereits in puncto Erwartungshaltung insbesondere hinsichtlich der Kausalität zwischen Potenzial und Erfolg etwas simpel auszudrücken versucht habe) einen absolut relevanten Unterschied zwischen einer taktischen Maßgabe und ihrer Umsetzung. D.h. nur weil die Umsetzung nicht funktioniert, heißt das nicht das das taktische Paradigma (dieser vielzitierte, völlig irreführende Terminus des "Ballbesitzfußballs") notwendigerweise falsch sein muss. Und wenn ich mir die beiden Spiele anschaue, dann komme ich persönlich zu der Erkenntnis, dass die taktische Ausrichtung der Bayern evident war und mit einigen kleinen Einschränkungen für mich auch durchaus adäquat erscheint. Dass Ancelotti das gegengecoacht hat - fair point. Aber die Ausführung des Guardiola´schen Planes ist doch der eigentliche Punkt. Diese Logik "Wenn Plan A nicht greift, braucht man Plan B" ignoriert doch grundsätzlich die Möglichkeit, dass man Plan A angemessen modifiziert. Und eine eben solche Modifikation ist mit der Einwechslung Lahms auf die RV-Position, wobei die nominelle Schwachstelle Rafinhas zumindest in meinen Augen kein allzu großer Einflussfaktor des Hinspiels war ebenso wie durch die Erhöhung der Variabilität durch Müller auf der 10 (anstelle von Kross) durchaus geschehen. Das sind doch sinnige Anpassungen (zweifelsohne, könnte man über Martínez auf der 6 streiten; ich persönlich wäre dieser Variante sehr zugeneigt, aber es gibt Argumente, die tatsächlich für Kroos/Schweinsteiger sprechen, gerade bei einem Paradigma der Ballzirkulation). Logischerweise werden jedoch all diese individual- und gruppentatktischen Vorüberlegungen zur Marginalie und zur Makulatur degradiert, wenn die entsprechenden Spieler die Rollen nicht adäquat ausfüllen, d.h. nicht den taktischen Überlegungen entsprechend agieren. Worin meiner Meinung nach das eigentliche Problem bestand. Die Frage ist nicht: Ballbesitzfußball oder nicht (was an sich schon eine absurde Frage ist, weil die Möglichkeit ohne Ballbesitz Chancen zu kreieren und Tore zu schießen nun mal nicht gegeben ist, und ja: ich weiß. Es gibt die Möglichkeit zu Kontern, aber ich bin ein Verfechter einer Philosophie die von Kontrolle ausgeht und nicht rein über Reaktion agiert. Mea culpa. Notabene: das ist auch ein Weg den der FC Bayern konsequent gegangen ist). Und wenn du, xirram, dann von "taktisch[em] Kreisklasseniveau" schreibst, dann kann ich ob deiner - und ich bin geneigt anzumerken: durchaus des Öfteren mal aufflackernden -polemischen Art nur noch den Kopf schütteln. Taktisches Kreisklassenniveau inwiefern? Bei einer 1:0 Niederlage im Bernabeu? Bei einem vollkommen demoralisierenden 0:2 Rückstand nach 30 (or so) Minuten durch zwei Standards, die schlicht und ergreifend individuell fehlerhaft (beim ersten Tor) und sehr schwierig (beim zweiten Tor) zu verteidigen sind (so mein Eindruck; und die These von generelle Standardanfälligkeit bei den Bayern möchte ich keineswegs vorbehaltlos unterschreiben).

Wenn man das jetzt als "Rückschritt" charakterisiert, dann ist das meiner Meinung nach in zweierlei Hinsicht problematisch. Einerseits auf Grund der oben skizzierten - für mich persönlich, das sei betont - etwas seltsam anmutenden Vergleichsgröße einer außergewöhnlich guten Saison. Welch Überraschungen - Leistungen in Mannschaften fluktuieren. Anderseits, weil die Entwicklung des FC Bayern - auch 2013, auch 2012 - immer schon auf diesem sogenannten "Ballbesitzfußball" basierte, den man konsequent weiterentwickelte - und der jetzt nolens volens verteufelt zu sein scheint. Das hat unter Louis van Gaal begonnen und entpuppte sich auf Grund zu starker Dogmatik und zu inflexiblen Agierens als nicht der Weisheit letzter Schluss; das wurde unter Heynckes verfeinert (und zwar eigentlich erst 2013) und durch schnelle Konterelemente und stärkeres Pressing insgesamt variabler gemacht. Und Guardiola hat es dem Ideal - und das Ideal war Barca, da würde ich mich keiner Illusion hingeben - so nahe wie möglich gebracht. Wohingegen Guardiola ja durchaus auf die alternativen Szenarien, die sich bei Bayern ergeben setzt: Flankenspiel, Kopfballstärke und physische Präsenz im Zentrum, all diese Aspekte gingen Barca ja tendenziell ab. Die Flügelzange Ribéry und Robben sucht ohnehin ihresgleichen und natürlich macht Guardiola sich dies auch zu Nutze. Das man Rückschläge - und mich graut es de facto dieses Wort überhaupt zu utilisieren, weil ich, wie eventuell auch deutlich wurde, wirklich nicht viel von dem Narrativ halte, dass die Mannschaft so signifikant schlimmer spielt als in der Vorsaison - bei einer solchen Entwicklung in Kauf nehmen muss, ja das es vielleicht sogar der richtige Weg war, nach diesem absoluten Triumph, wie ihn das Triple darstellte, eine solche Zäsur zu wagen und neue, vielleicht auch zukunftsträchtigere Wege zu gehen - das steht für mich persönlich außer Frage.

Aber natürlich: Letztlich sind das nur die Ansichten eines taktisch beschränkt-beschlagenen, Guardiola-philen, im Moment etwas frustrierten Bayern-Fans. Nur muss ich schon zugeben, dass mir dieses negative Narrativ und die mit Niederlagen offenkundig ausnahmslos verknüpften Debatten über Guardiolas Fußball-Theoreme, sehr ermüden, sehr verwundern und letztlich auch ein wenig verärgern.(Ich finde es - notabene - amüsant, dass es diese Diskussion beim BVB in dieser Form offenbar nicht gegeben hat, als man im CL-Viertelfinale ausschied. Aber vielleicht habe ich die auch nur übersehen, das ist durchaus möglich)