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Was das sicher überhaupt nicht erklärt, ist das Stellungsspiel des Torwarts bei ganz weiten Bällen, z.B. Abschlag von der Gegenseite her. Sachen wie diese: http://www.youtube.com/watch?v=qTwfx-vcYr0
Zunächst einmal zum Video. Du selbst scheint kein Fussball zu spielen, denn bei solchen Toren dann anzuführen, der Torwart habe zu weit vor dem Tor gestanden ist nur auf ein generelles Unverständnis des Spiels zurück zu führen - mal ganz hart gesprochen.
Sicherlich gibt es immer wieder in der Kreisliga typische Linienkleber und Toraufpasser, also Torleute, die scheinbar, wenn diese den Strafraum verlassen, tot zusammenbrechen oder sogar von aussen erschossen werden. Mag alles sein. Doch bei einem Abschlag oder Abstoß steht der Torwart nicht hinten drinne, sondern er "schwimmt" mit der Mannschaft mit und so kann es passieren, daß ein Torwart, z.B. bei einem Eckball, 20 ja 30 Meter vor seinem Tor steht.
Der Fussballplatz ist bei internationalen Bedingungen über 100 Meter lang. Schaut man sich die EM derzeit an, so kommen die meisten Torleute bei Abschlägen um die 50 bis 70 Meter, ganz selten sind es 90 oder über 90 Meter. Es fällt also schon allein von der Reichweite dem Torwart schwer, dem anderen Torwart einen 'reinzuknallen' und das darf man als absoluten Glückstreffer, also Absonderlichkeit und wirklich Zufall einstufen - es würde auch kein Torwart darauf anlegen. Denn dazu müßte man zudem eine unvergleichliche Präzision haben und auf diese Distanz - den Scharfschützen möchte ich sehen.
Daher ist das Video bestimmt kein Beleg oder Hinweis das ein Torwart bitte hinten zu stehen habe - es zeigt nur, daß hier einem Torwart irgendwann einmal, und das Video dürfte sehr alt sein, ich zweifle auch an den 100 Metern Platzlänge - Schusslänge 100 Meter sowieso - mal einen solchen Zufallstreffer gelandet hat.

Somit steht der Torwart eigentlich recht weit vorn, an der Grenze oder sogar vor der Grenze des Strafraums. Denn letztendlich stehen die Verteidiger bei langen Bällen oft mit dem Rücken zum Gegnerischen Tor, um den Ball so abzuschirmen und Körper zwischen Angriff und Ball zu haben, so ist das Gesicht dem eigenen Tor zugewandt. Ist hier eine Drehung zur eigenen Spieleröffnung nicht möglich, muss ich nun einmal einen Pass spielen - dazu muss ich meinen Anspielpartner aber ansehen - oft ist dies bei langen Bällen nur der Torwart und wenn der dann hinten drinne steht, kann ich den Ball nicht spielen - der Gegner hätte die Chanmce einen solchen langen Pass abzulaufen und stünde allein vor dem Tor. Also muss die Distanz klein sein, ideal unter 20 Metern. Daher sollte der Torwart sich hier entsprechend anbieten und auch recht nahe stehen, damit diese Passoption gegeben ist.
Zudem hat der Torwart als letzter Mann immer das Spiel vor sich, er kann also seine Mannschaft im Defensivverhalten dirigieren - coachen sagt man auf Denglisch. Steht der Torwart hinten im Tor, nun dann muss er verdammt laut brüllen, um ggf. 30 Meter bis zur Viererkette zu überbrücken - für eine Kommunikation völliger Mumpitz.
Zudem kann ein langer tiefer Pass bei einem kurzen Sprint besser erreicht und geklärt werden, als wenn der Torwart über 20 Meter zum Ball spurten muss. Steht also der Torwart bei einer Ecke recht weit vorn, die gegnerische Defensive macht einen Befreiungsschlag, so sind oft Defensive und gegnerische Offensive mit dem gleichen langen Weg nach hinten beehrt - hingegen der Torwart vielleicht den kürzeren Weg hat und daher diesen langen Befreiungsschlag klären kann, bevor der Gegner an den Ball kommt. Selbst wenn er den Ball nur in Richtung gegnerisches Tor tritt - ODER schlicht ins Aus schlägt, er verschafft der eigenen Defensive so die nötige Zeit, hinter den Ball zu kommen und sich neu aufzustellen.
Schon von der Sicht aus gesehen, darf der Torwart nicht auf der Linie stehen.
Dies ist sehr, sehr wichtig und sollte gerade jungen Torleuten begebracht werden, die nur allzuoft völlig sinnfrei auf der Torlinie des Tores stehen und "Torwart" sind...

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Was ist denn, wenn der Schütze ziemlich mittig steht. Beispielsweise Deutschland - Holland am Mittwoch:
Der Ball kommt genau durch die Mitte (sieht man am Elfmeterpunkt), Neuer steht nicht extrem weit vorn, aber einen guten Meter. Gibt es da Berechnungen, was für den Torwart besser ist: Torverkürzung oder mehr Reaktionszeit?
Berechnungen nicht. Berechnungen sind nur dann günstig, wenn man schlicht gleichbleibende Faktoren hat. Hier aber habe ich es mit sehr variablen Faktoren zu tun, denn die Ballgeschwindigkeit ist nie gleich, auch die Ballflugbahn ist nicht gleich, denn anstelle gerader Schuss kann der Schütze den Ball auch anschneiden und so den Ball eine Kurve fliegen lassen.
Letztendlich ist es die eigene Erfahrung, wo und wie man spielt und diese Erfahrung sollte sich der Torwart regelmäßig auch selbst holen, in dem er die Torverkleinerung im Training immer wieder auf die Spitze treibt. Natürlich fallen dann auch Tore, aber der Torwart lernt so eines: Wie weit kann und sollte ich aus dem Tor gehen, bei welcher Situation - er entwickelt ein Gefühl dafür.
Kein Autofahrer hat einen Abstandssensor im Auto - auch wenn es manchmal dringend nötig erscheint - trotzdem weiß er ungefähr, den Abstand zum Vordermann nach Verkehrslage und Geschwindigkeit einzuhalten.
Ebenso macht es der Torwart.
Es gibt daher durchaus Situationen, wo der Torwart bei solchen Aktionen noch weiter vor dem Tor steht, um für den Stürmer die freie Torfläche noch kleiner und den Torerfolg noch schwieriger zu machen. Im Tor stehen ist hier die falsche Aktion.
Zumal die Sache ja aus der Distanz des Schützen zum Tor, Ballgeschwindigkeit und der Reaktionszeit sich zusammen setzt, nicht bloß aus der Distanz des Schützen zum Tor. Denn wenn ich aus 20 Meter mit 100 km/h ablade, ist es das gleiche, als wenn ich aus 10 Meter nur noch 50 km/h hinter den Ball bekomme, hingegen ändert sich das, wenn ich aus 20 Metern den Ball mit 50 km/h in eine angeschnittene Bogenflugbahn zirkele, oder wenn ich aus 10 Metern Vollspann mit 1200 km/h das Ding in die Maschen prügele... in allen Fällen ist für den Torwart die Reaktionszeit ungefähr gleich, aber aufgrund unterschiedlicher Geschwindigkeiten und Situationen ein unterschiedliches Verhalten angesagt - und damit auch ein unterschiedliches Stellungsspiel.
Und damit haben wir den Faktor Mensch nicht mal halbwegs einfließen lassen, denn es ändert sich ja auch mit den Vorlieben, der Erfahrung und der Spielweise des Torwarts selbst - wie man derzeit deutlichst bei der EM beobachten kann.

Es ist einfach so. Und deine Frage ist so komplex zu beantworten, daß Du nicht wirklich alle Facetten verstehen wirst. Ein Vogel kann Dir das Fliegen beschreiben, bestimmte Dinge erläutern, aber wirklich begreifen und verstehen wirst Du es erst, wenn du selbst fliegst...