Naja, wo du die Schweden-Spiele ansprichst, da hat er (beim 4:4, das andere habe ich nicht gesehen), sicherlich einen schlechten Tag gehabt, sowohl beim Passspiel als auch in konventionellen Keeperaktionen. Ob das dann reicht, um von Schwächen zu reden, weil er in diesen Spielen da schlecht agiert hat, weiß ich nicht. Man muss halt aufpassen, dass man nicht nur die schlechten Spiele nimmt, sonst können wir Neuer (und jeden anderen) schnell zum schwächsten TW des Planeten diskutieren. Allerdings geht es auch andersherum und man muss aufpassen, das man Fehler nicht zu oft mit "Na, passiert halt mal" abhakt. Man muss entsprechend in den Fehlern ein Muster suchen. Andernfalls könnte ich die letzte Saison hernehmen und ter Stegens Fehler dazu nutzen, um das, was du als Stärken bei ihm siehst, in Schwächen umzudrehen (so wie es dir bei Neuer passiert).
Um mal ein Muster in Neuers Fehlern zu suchen (in denjenigen, die ihm auch in knappen Spielen passieren und folglich keine Flüchtigkeitsfehler (Kazakhstan) sind): Was sind das für Fehler? Eigentlich kannst du es auf 2 Formen herunterbrechen:
1) Er versucht einen langen Ball abzulaufen, kommt aber erst nach dem Gegner an den Ball.
2) Er kommt an eine Flanke nicht heran und unterläuft sie.
Bei beiden Fehlertypen passieren diese Fehler, weil er versucht, ans Limit zu gehen. Und dieser Versuch führt dazu, dass man mal darüber hinausschießt. Die Möglichkeiten sind doch:
1) Ich halte einen Sicherheitsabstand zum Limit. Das führt aber dazu, dass ich eben Bälle nicht bekomme, die ich bekommen könnte (die unterhalb des Limits liegen, aber eben in der Sicherheitszone liegen).
2) Ich treffe genau das Limit. Idealfall, aber leider nicht möglich.
3) Ich gehe einen gewissen Bereich über das Limit. Damit hole ich alle Bälle, die theoretisch zu kriegen sind, es kann aber passieren, dass ich Fehler mache, weil ich auch zu Bällen gehe, die unmöglich sind.
Ich würde sagen, und das passt zu deinen Aussagen, ter Stegen passt zu Typ 1. Das ist auch das, was ich mit Pflichtaufgaben meinte. Neuer ist eindeutig Typ 3, deswegen passieren ihm Fehler.
Es ist nun eine schwierige Frage, was besser ist. Auf der einen Seite passieren dem Typ 1 die Fehler nicht, dass er das Limit überschreitet. Dafür geht er nicht zu Bällen, die er kriegen könnte (woraus möglicherweise auch Tore resultieren). Andersherum geht es analog.
Für Typ 1 geht es entsprechend darum, die Sicherheitszone zu minimieren. Dann läuft er aber auch wieder Gefahr, das Limit zu überschreiten, sodass er im Endeffekt das gleiche Problem hat wie Typ 3.
Dass allgemein Typ 1 bevorzugt wird, liegt am Sicherheitsdenken und dem Anspruch, dass der Torwart möglichst "Fehlerfrei" spielen soll. Aber die Definition eines klassischen Torwartfehlers beinhaltet solche Bälle, wo der TW den Ball bekommen könnte, aber nicht hingeht, nur dann, wenn es eindeutig ist. Die Crux ist: Eine Flanke, die ein Torwart nicht kriegen kann, zu er er aber hingeht, sieht jeder Depp. Zu beurteilen, ob ein TW eine Flanke erreichen könnte, zu der er nicht hingegangen ist, ist hingegen fast unmöglich.
Um hier die Frage zu beantworten, welcher Stil besser ist, müsste man dem Typ 1 entsprechend einen Vorwurf machen, wenn er zu einem Ball nicht hingeht, der in seiner "Sicherheitszone", aber unterhalb des Limits liegt. Und dann kannst du Gegentore bewerten, die er kassiert, weil er nicht herauskommt.
So machst du aber Neuer einen Vorwurf, weil er zu riskant agiert, ter Stegen wird gelobt, obwohl er zu vorsichtig ist. Nehmen wir mal an, ein Torwart vom Typ kassiert 10 Tore aus Flanken, die im Sicherheitsbereich liegen. In der Öffentlichkeit wird keiner von TW-Fehlern reden. Ein anderer Keeper vom Typ 3 kassiert 7 Gegentore, weil er übers Limit gegangen ist. Im Verständnis der Öffentlichkeit hat er dann 7 Fehler gemacht.
Welcher dieser Keeper - gemäß diesem theoretischen Vergleich - ist besser? Leider werden viele sagen: Der, der weniger Fehler gemacht hat. Neuer verkörpert einen Typ, dem es egal ist, wenn er persönliche Fehler macht, wenn sich dieses erhöhte Risiko darin äußert, dass er die Gegentorwahrscheinlichkeit reduziert. Das ist es, was ihn in meinen Augen so stark - und dann eben auch zum momentan besten Keeper der Welt - macht.
Darüber kann man streiten, aber das ist eben der Spielstil Neuers, der ihn abgrenzt. Und vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass er beständig der (deutsche) Keeper ist, der (auch schon zu Schalker Zeiten) am seltensten hinter sich greifen muss. Man kann es auf sehr gute Abwehrreihen schieben. Man kann es auch dem Torwart anrechnen (und das dann als empirischen "Beweis" dafür hernehmen, dass Typ 3 besser ist). Wahrscheinlich liegt die Wahrheit hier irgendwo in der Mitte (was dann auch wieder für die Vorzüge von Typ 3 spricht)