Die Enttäuschung über das Abschneiden der WM ist nun der Neugier über Weiterentwicklung des Torwartspiels und insbesondere möglicher Trends gewichen.
Den Feldspieler hat man mehr Freiräume für die Kreativität versprochen und die Trainerausbildung wurde aktualisiert. Aber wie sieht es in der Torwartausbildung aus? Hier hat Marc Ziegler vor einiger Zeit beim BDFL-Treffen über Veränderungen berichtet und die daraus folgenden Veränderungen im Rahmen des Elite-Torwart-Camps in Bad Gögging Rede und Antwort gestanden.
Während man die Torwartaufgaben traditionell in Ziel- und Raumverteidigung aufteilt und für seine Offensivaufgaben noch gar keine präzisen Ziel- oder Raumdefintionen über kurze, mittlere und lange Anspiele hinaus gefunden hat, wagt Ziegler erstmals eine Annäherung über die Interaktion zwischen Torwart und Mitspielern, die er situativ in Räumen beschreibt. So merkt er an, dass ein Angreifer stets 2 Möglichkeiten hat, um den Block des Abwehrspielers beim Torschuß zu umgehen. Entweder sucht er sich den freien Raum um den Abwehrspieler ins Eck oder er entscheidet sich beim langen Bein des Abwehrspielers den Ball durch dessen Beine hindurch ins andere Eck zu schlagen. Als Erkenntnis fügt er an, dass es besser wäre, wenn sich der Torwart darauf verlassen kann, dass sein Mitspieler eine Ecke zustellt, sodass er sich auf den Torabschluß in die freie Ecke vorbereiten kann.
In einem anderen Fall beschreibt er die Situation einer Flanke, bei der die Abwehr zu tief einrückt, sodass der Keeper weder Raum noch Zeit hat, sich auf eine aktive Abwehr vorbereiten zu können. Der Gegner kann sich dann aus kurzer Distanz eine freie Ecke aussuchen, wenn es keine Abstimmung zwischen Torwart und Feldspieler gibt.
Man möchte zunächst den Eindruck gewinnen, dass dieses ein Phänomen der letzten WM in Russland sei, bei der "Ballbesitz-Teams" auf sehr tief gestaffelte Kontermannschaften trafen und das Team mit einer guten Ballance zwischen diesen Extremen schließlich die Oberhand gewann. Denn eine Nationalmannschaft hat nicht die Zeit, sich einzuspielen und lebt von den individuellen Fähigkeiten der Teammitglieder.
Wenn man jedoch genauer hinschaut, dann finden wir auch heute in den Vereinsmannschaften einige Elemente, u.a. viele Standards, aus denen Tore fallen. Wenn auch nicht in diesem Maße.
Wagen wir also erneut einen Blick auf Zieglers Analyse und stellen fest, dass das Verständnis von Ziel- und Raumverteidigung und Ziel- und Raumangriff eine einfache Beschreibung benötigt. Denn es sind ja keine zufälligen Aktionen, sondern jeweils auf den Erfolg ausgerichtet. Auch kritisiert auch Oliver Kahn, dass eine Ballzirkulation ohne die Absicht zum Torerfolg eigentlich unsinnig sei.
Verbindet man Raum und Ziel mit dem Faktor Zeit, so ergibt sich jeweils ein 3-dimensionaler Korridor, der sich mit jeder Bewegung von Ball uns Spieler verändert. Eine statische Beschreibung kann diese Interaktion nicht ausreichend beschreiben.
Was aber bedeutet das für die Praxis? Wenn man vom Einfachen zum Schwierigen oder vom Bekannten zum Unbekannten spielnah trainieren möchte, so kann man für den Start sicherlich noch technische Hilfsmittel (z.B. Hütchen, Pylonen, usw.) einsetzen, muß dann jedoch die Situation so anpassen, wie sie sich im Spiel gestaltet. D.h. es müssen reale Mitspieler (Angreifer, Abwehrspieler) dazu kommen, um eine vollständige Torwartaktion durch Interaktion mit den Mitspielern erfolgreich trainieren zu können.
Nun basiert jedoch eine Ausbildung normalerweise darauf, sich nicht gegenseitig zu trainieren, also jede Aktion so zu gestalten, dass der Gegner eine reale Chance hat in Ballbesitz zu gelangen, sondern ihn trickreich herein zu legen. Daran ist grundsätzlich ja nichts falsches. Will man jedoch bestimmte Trainingsziele erreichen, dann ist es von Vorteil, wenn die Trainingsgruppe zunächst einmal lernt sich gegenseitig zu trainieren und autonom zu coachen. Denn im Wettkampf steht auch kein Trainer auf dem Platz, der eine Situation einfriert, um danach die gewünschte Lösung zu finden.
Zeitabhängige Zielkorridore können diese Interaktionen sehr viel präziser beschreiben, weil sie sich vom zweidimensionelen statischen Definitonen der Ziel- und Raumabwehr lösen, indem sie beides vereinen. Denn selbst beim Schuß aufs Tor gibt es eine Positionsanpassung, einen Bewegungsablauf, der in unterschiedlichen Phasen die Bewegung von Ball, Mitspieler, Gegner und Torwart hat, jedoch bislang im isolierten Torwarttraining weitgehend igoniert wird.
Es mag auf den ersten Blick vielleicht komplexer erscheinen, jedoch wird der situative (relative) Zielkorridor nahezu jede defensive und offensive Aktion im Rahmen der gewünschten Ablaufzeit beschreiben können.
Ich denke, es ist dazu nur noch ein kleiner Schritt nötig, den Marc Ziegler bereits beschrieben, jedoch in seiner Konsequenz für die weitere Ausbildung noch nicht ausreichend definiert hat.