Zitat Zitat von Icewolf Beitrag anzeigen
Bei Kahn / Lehmann war - zu dem Schluss bin ich nach langer Überlegung gekommen - ausschlaggebend, welches Ihre typische Spielweise war.
Aber GANZ genau! Die typische Spielweise.
Völlig unbewußt, spielt mir diese Aussage immer und immer wieder in die Karten MEINER persönlich Denkweise zum Torwartspiel und wie man es EIGENTLICH betrachten sollte... aber wie gesagt, daß ist wieder etwas anderes.

Du hättest von Kahn Dropkicks an die Mittellinie in den Fuß verlangen können, hätte er wohl auch auf die Reihe gekriegt, aber Lehmann hat das schon mehrere Jahre so gespielt.
Das ist für mich einer der wichtigsten Punkt! Du hättest es von Kahn verlangen können! Man hat es aber so von Ihm nicht verlangt. Lehmann hingegen war durch seine Spielzeit in England jemand, der diese Form der Spieleröffnung bringen MUSSTE.
Das war der vordringlichste Unterschied. Und in einer Auswahl kommt es nicht darauf an, was man verlangen könnte, sondern was für Optionen man angeboten bekommt. Lehmann war einfach in dieser Form des Spiels - insbesondere der Spieleröffnung die weitaus stärkere Option als Kahn.
Oliver Kahn hätte das sicherlich auch mit Übung hinbekommen, aber die Notwendigkeit bestand nicht, den in seinem Club war das einfach nicht gefodert und damit fehlt einfach das Auge und auch die notwendige Übung.
Dies kannst Du mühelos auf heutige Jugendtorleute übertragen! Da gibt es genügend Torleute in den höheren Ligen, die nich in der Lage sind, einen Ball zu verarbeiten, einen Flugball zu spielen oder auch nur dann einen Ball an den freien Mann zu bringen. Da wird eine Flanke abgefangen und dann dem Spieler der Abwurf auf die Brust gekurbelt, das der Brüllhusten bekommt, anstelle den Ball sauber abzuwerfen, daß dieser im hohen Tempo mit dem Fuss verarbeitet werden kann.

So auch die außergewöhnliche Begabung von Lehmann in den späteren Jahren, 10 - 15 Meter vor dem Tor Lufthoheit zu haben. Mit erstaunlicher Souveränität. Kahn (No-Risk) hat das so nicht gespielt, daher keine Sicherheit und keine innere Überzeugung darin.
Ja, das war etwas, was Jens Lehmann sicherlich drauf hatte - und wenn man es ein wenig beobachtet - auch in England der Grund war, warum er geholt wurde und dann auch spielte. Denn die "Cross Defence" war etwas, wo die Engländer in dieser Zeit verdammt viel bekommen haben und schaute man sich einfach mal - auf die Aussen, schnell zur Grundlinie, Flanke... das war oft der Fall. Ein Torwart der hier vor dem Tor die Bälle nicht nur "weg bekam" sondern sogar sichern konnte, daß war viel wert.
Lehmann gehörte in diese Kategorie, der seinen persönlichen Schwerpunkt in der Raumverteidigung gefunden und auch stark verbessert hatte.
Wie war das eigentlich jetzt bei der WM? War da noch viel Raumverteidigung?

Interessantes Gedankenspiel: Kahn galt als rigoros und hart, vielleicht wäre er für die Aufgabe super geeignet gewesen?
Raumverteidigung braucht viel, viel Training. Du kannst einen Torwart 30000 mal durch die Koordinationsleiter jagen und es wird Ihn nicht besser machen, die Laufwege zu koordinieren, damit er korrekt und sicher zum Ball abspringt.
Da nun Tw Training in vielen Vereinen sich auf 45 Minuten pro Woche beläuft, kannst Du Dir sicherlich denken, wie viel Zeit die Torleute wirklich aufwenden (können), um just diese komplexen koordinativen Laufwege zu trainieren. Verlangt wird das, aber für die Sicherheit, wie Lehmann diese hatte, oder auch Timo Hildebrand, musst Du einfach da Schwerpunkte setzen und das viel, viel intensiver trainieren. Macht aber kaum jemand und weil das so ist...
Das ist auch die Sache mit Kahn. Es war einfach nicht im Trainingsportfolio enthalten, daher.... schaut man sich nun Videos an, und the Röhre hat eine Menge, so fällt auf: Doch Kahn hatte das schon irgendwo. ABER nie mit dem Punkto Sicherheit, sondern immer nur mit Fausten, Wegschlagen oder ähnliches. Ihm fehlte einfach diese Präsenz, den Raum einzunehmen und den Ball zu holen. Er war eher der Typ, den in den Raum kraftvoll und dynamisch eindrang, um enem Jäger die sicher geglaubte Beute doch noch vor den Fangzähnen wegzuschlagen.... Sprich sein ganzes Timing war für eine Sicherung nicht passend, für eine Verteidigung aber optimal.

Und die Maßgabe war, dass Deutschland 2006 sehr aktiv und sehr druckvoll agieren würde und daher die Erwartungshaltung gewesen ist, hoch zu stehen. Lehmann hatte das einfach schon viel häufiger so gemacht, weil Arsenal die 4er-Kette viel exzessiver gespielt hat.
Jaja... Hoch stehen, Gegenpressing, etc. Das waren damals die Punkte, die sich bis heute gehalten haben - und dann scheiden wir in der vorrunde mit einem Welttorhüter aus. Keine Frage, der Torwart war nicht schuld und nicht die Ursache... aber das "System" an sich darf man nun nicht als Mutter der Spielsysteme betrachten, die jeder Kritik erhaben ist.
Doch da sind wir wieder bei der Mannschaft und diese darf nicht das Thema werden, denn Mannschaftstaktiken sollte man vielleicht mal in einem eigenen Thema beleuchten - dies ist für Torleute nicht uninteressant, ergibt sich nämlich daraus wichtiges für das eigene Stellngsspiel, Trainingsinhalte und natürlich Spieleröffnung!

Doch mal zurück zum Thema: Lehmann kannte die Spielweise hinter der Kette. Viele sehen Ihn als Mitbegründer des "modernen Torwartspiels", doch das ist schlicht Bullshit! Lehmann machte nur, was gefordert war - er erkannte, daß viele Bälle einfach durch die Schnittstelle gespielt worden sind. Jens Lehmann musste also sein Spiel just diesen Dingen anpassen und seine "Zielverteidigung" wurde aufgrund dieser Bälle weniger wichtig, als wie die Raumverteidigung im höher und damit vorteilhafter sich selbst in Position zu halten, um diese Bälle ggf. vor dem Stürmer zu erreichen.
Nenne es mal präventive Zielvertiedigung: Der Ball wird geklärt BEVOR der Stürmer in Abschlussposition kommt.
Nun ist HEUTE die 4er Kette sicherlich nix neues mehr. Schon 1992 also als Rensing geboren wurde, war 4er Kette etabliert - es spielten nur eher weniger Mannschaften. Heute 2018 gibt es kaum eine Truppe, die eben nicht 4er Kette spielt. Kaum ein Torwart, der nach 1992 geboren ist und Fussball spielt, kennt ein System Vorstopper, Manndecker und Libero. Die kennen nur Kette.
Und das ist für mich immer ein Problem. Persönlich... denn damit ein Torwart taktisch und positionstechnisch gut geschult ist, müsste man Ihn hier z.B. auch mal mit der Spielweise Vorstopper, Manndecker, Libero konfrontieren. Denn allein Stellungsspiel, Aufgaben und Kommunikation wird plötzlich völlig anders sein und stellt den Torwart damit vor völlig neue Herausforderungen und auch Spielweisen.
Jens Lehmann konnte zum Glück beides, und seine Spielweise entstand aus dem Verständnis des alten defensiven 1-2-1 Systems in der Raute, aus welchem er dann seine Spielweise zu dem eher flachen 4 System entwickeln konnte und musste. Um also heute Torleute für zukünftige Aufgaben zu wappnen, die ja NUR das flache 4er System der Defensive kennen, müßte man diese also mal mit dem 1-2-1 System konfrontieren...
Und ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage - Anadur hat das mehrfach angedeutet - das wird eine Pflichtaufgabe der Zukunft sein. Aber das ist nun wieder Mannschaftstaktikisches....

Lehmann war also damals, mit dem hohen Gegenpressen sicherlich die bessere Option als Oliver Kahn, doch nüchtern betrachtet, muss man heute feststellen, mit etwas Übung hätte man auch mit Oliver Kahn das gleiche erreichen können. Wird gern bestritten, doch diese Theorie bringt man einfach ins Wanken, denn Dortmund spielte mit Weidenfeller erfolgreich ein so derbes Gegenpressing und die Abwehr war zum Teil so hoch - da hätte eigentlch Weidenfeller überhaupt nicht passen dürfen können sollen, doch das Gegenteil war der Fall.
Klar, im Umkehrschluss kann man sagen, daß es vielleicht (!!) mit einem anderne Torhüter noch besser geklappt hätte - ABER just um dieses VieLLEICHT in der Argumentation geht es, denn dafür fehlt fast jeder Beleg. Es gibt Ausnahmen, aber eben nichts handfestes - es gibt immer nur "Gefasel"

Bürki hat drei Trainer-Wechsel hinter sich, während er sich mit Mitte 20 als Nr 1 in einem deutschen Spitzenklub etablieren sollte.
Wer in diesen Situationen sehr gut performed ist eine Ausnahme oder hat eine exzellente mentale Verfassung/Betreuung.
Naja, kann man als Entschuldigung so stehen lassen - aber mal ehrlich, darum geht es doch gar nicht.
Es geht hier um den Einfluss des Torhüters auf die Spielentscheidungen. Sprich: Ist Roman Bürkis offensives Torwartspiel, also Rückpassverarbeitung, Spieleröffnung sowie Raumverteidigung VOR dem Strafraum wirklich ein GARANT für einen Spielerfolg, oder sind andere Aktionen für einen Spielerfolg, also Punktgewinn eher wichtig.