Ein gutes Fußballspiel. Man steht am Rande. Da wird die Abwehr überrumpelt. Ein Fehlpass, zwei drei Kontakte nur und der tödliche Pass erfolgt. Die Abwehr, völlig perplex hat den Stürmer nicht bemerkt, der nun von aussen nach innen startet, die Verteidiger sind hinterher, können aber nicht eingreifen.
Der Torwart entdeckt die Situation und startet.
Er taucht zum Ball, greift diesen, der Stürmer wird von der Wucht von den Füssen gerissen und segelt durch den 16er...
Der Trainer knischt mit den Zähnen und brummt:
Ist diese Aussage wirklich richtig? Können wir ohne Vorbehalte zustimmen?Mann, was für ein Glück. Hätte der den Ball nicht gehabt, wäre das ein glasklarer Strafstoß gewesen...
Viele Trainer werden es sofort tun. Der Torhüter, bei vielen Trainern leider immer noch mißverstanden und Feindbild.
Schauen wir uns die Situation doch nochmals an.
Die Abwehr ist überrumpelt, die Verteidiger sind längst überwunden und haben keine Chance mehr einzugreifen.
Gäbe es keinen Torwart, wäre das Tor 100%ig sicher.
Die Situation können wir also eigentlich als sicheres Tor für den Gegner verbuchen, der in der Situation einfach wacher, flinker und auch taktisch überlegen war. Er traf die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt und nutzte einen Fehler der eigenen Mannschaft gnadenos zu seinem Vorteil.
Dies ehrt unseren Gegner und wirft Schade auf unsere Mannschaft.
Also buchen wir Tor, oder sagen wir 99% Tor.
Denn vor dem Tor steht noch einer.. die letzte Chance, die letzte Wand, das allerletzte Bollwerk: Der Torwart
Er erkennt die Situation, startet und bringt den Ball in seinen Besitz. Er geht dabei 100% Risiko, um das sichere Tor zu verhindern. Er wirft alles in die Waagschale, und wird letztendlich kritisiert. Zu Recht?
Beleuchten wir die Situation mal genauer.
Der durchgebrochene Stürmer hat alle Wege frei und geht zielsicher auf Strafraum und das Tor zu.
Der Stürmer ist dabei im Vorteil, denn er bestimmt Tempo, Winkel und auch Schuss. Er hat Innenrist, Aussenrist, Stoß oder Spann... Flach, Halbhoch, Heber... er hat alle Optionen.
Der Torwart muss in Sekundenbruchteilen entscheiden, wie schnell er herausgeht, wie weit und wie er versuchen wird, zum Ball zu agieren.
Dabei denkt er nicht, sondern er wirft 100% Erfahrung und Instinkt, also pures Bauchgefühl in die Waagschale.
Der Grund, warum man es nicht lernen kann, denn es ist alles reine Improvisation. Er muss den Stürmer zum Stoppen bringen, und den Schuss irgendwie abwehren.
Der Begriff Notabwehr trifft es 100%ig.
Alles, was er zu bieten hat, ist mit keiner Technik zu vergleichen. Es ist Fähigkeit der Koordination, der Reaktion. Er muss versuchen, alle vier Gliedmaße unabhängig zu bewegen, um das nächste Ding irgendwie zwischen Ball und Tor zu bekommen.
Dabei deckt er möglichst mit seinem ganzen Körper die Größtmögliche Fläche des Tores ab, und opfert sich förmlich in der Hoffnung, irgendwie angeschossen zu werden, oder mit einem Lidschlag der Reaktion noch etwas zwischen Ball und Tor zu bekommen.
Sein Timing ist Gefühlssache. Kein Torwart kann bewußt sagen oder erklären, wie rasch er sich dem Stürmer nähert oder warum er welche Bewegung gemacht hat, er vertraut nur auf seinen Instinkt und sein ES. Nicht er handelt, irgendetwas anderes tut es...Er denkt nicht daran, ob er fehlen könnte.
Es ist eine Entscheidung, fressen oder gefressen werden... Leben oder Sterben. Es ist eine Entscheidung, die das unausweichliche, das Tor für den Gegenspieler nicht einkalkuliert und doch nicht ausschließt, aber eine Enscheidung alles zu tun, um es zu verhindern.
Es ist also eine Art, das man egal was kommen wird, eigentlich schon tot ist, und nur Glück, Bestimmung oder Schicksal, die Hand Gottes, die Göter oder eine andere Fügung dies noch ändern kann. Der Torwart opfert sich, um ggf. zu retten, was andere versäumten. Die Mannschaft ist geschlagen, das Tor eigentlich sicher und er macht aus der 1% Restchance eine fifty-fifty Aktion.
Kaum einer dankt es Ihm, doch denken wir mal: Wäre er ein Feldspieler, würde und müßte er den Gegner stellen, würde er getäuscht und ausgespielt, würde er hinterherlaufen.
Hinterherlaufen kann der Torwart nicht, denn dann ist bereits alles vorbei. Er muss also in höchster Not, alles darum geben, den Stürmer zu stellen, seinen Fluß, seinen Lauf zu brechen, zu stoppen, diesem zum Stillstand oder zum Überlegen zu bringen. Und dann muss er mit einer Aktion, die er keinesfalls im Voraus bestimmen kann, versuchen in den Ballbesitz zu gelangen oder den Ball vom Tor ablenken, den Ball ergreifen oder sonst wie das Tor verhindern.
Welche Fertigkeiten und Fähigkeiten ein Torwart in dieser Situation aufbringen muss, wir können es kaum in Worte fassen noch wirklich beschreiben.
Er muss übermenschliches leisten, und bekommt selten Dank dafür. Er ist eigentlich ein Held, doch für viele ist dies Selbstverständlichkeit, daß er so agiert.
Nun greift er daneben, der Stürmer läßt den Torwart aussteigen... was also nun wenn der Torwart am Ball vorbei in die Beine greift?
Wir unterstellen hier mal keine Absicht und selbst wenn, welche andere Chance hätte er denn sonst? Hinterherlaufen geht ja nicht.
Der Stürmer kommt zu Fall - Strafstoß.. und? Der Torwart macht aus einer 99% prozentigen Chance für den Gegner nur noch eine 75%ige Chance für den Gegner... jeder Glücksspieler würde sich ebenso dafür entscheiden.
Doch hier ist selten Überlegung im Spiel, sondern eher, daß der Torwart mit allem, vollem Einsatz, 100% Risiko zum Ball agiert und dabei wenn er den Ball nicht erreicht, notgedrungen in Kauf nimmt, den Gegner damit zu Fall zu bringen. Selbst wenn er den Ball erreicht, wie oft trifft er seinen Gegenspieler dennoch? Und wie oft wird er von seinem Gegenspieler getroffen, oder durch seine Aktion in höchste Verletzungsgefahr gebracht?
Und trotzdem: Er tut es immer und immer wieder, um ein sicheres Tor für den Gegner zu verhindern.
Ist also obiger Vorwurf wirklich so gerechtfertigt?
Ich denke nicht. Und es wird Zeit, daß ein Trainer hier lernt, seinen Torwart zu verstehen und Ihm hier dankbar zu sein, denn kaum ein anderer Spieler erbringt diesen Einsatz.
Trotzdem, der obige Spruch kommt immer und immer wieder... und es tut in der Seele weh...