Dogma
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, unterliegen nicht selten sexuelle und religiöse Werte einem strengen Kriterium. Von einer spitzbübischen Hand inszeniert, umschifft „Dogma“ jene Grenzwerte. Bereits in seiner Einleitung führt er dies klar vor Augen.
Alles beginnt recht friedfertig: Ein Mann mittleren Alters summt den schönen Götterfunken, bevor ein unsympathisches Trio Hockeyspieler, dem ein jähes Ende bereitet. Dieselbe Stadt zum gleichen Zeitpunkt. Kardinal Glick verkündet im Namen der katholischen Kirche ein Jahr der Erneuerung. Über die optische Aufmachung von „Kumpel Christus“ staunt die Presse nicht schlecht. Womit jedoch (fast) niemand rechnet, sind Loki und Bartleby - ihres Zeichens gefallene Engel. Aus dem Himmel verbannt, dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit auf Erden zu Büßen, ergibt sich den beiden eine Aussicht auf Rückkehr. Bartleby erhielt von einem Gönner unbekannter Weise einen Zeitungsausschnitt, welcher von einem päpstliches Dekret berichtet. Jene Weisung bekundet, auf das beim durchschreiten der Pforte, besagter Kirche Kardinal Glicks, die Überquerung des steinernen Bogens mit einem Generalablass verbundenen sei.
„Was Du auf Erden als wahrhaft erachtest, erachte ich als wahrhaft im Himmel" - ein dogmatisches Gesetz. Die Kirche sagt „so ist es“, und Gott muss sich dran halten!“. Loki und Bartleby brauchen also nichts weiter zu tun, als die Pforte zu passieren und zu sterben. Ein Schlupfloch mit verheerenden Folgen, ist es doch gefallenen Engeln untersagt ins Himmelreich zurückzukehren. Bei Eintritt des Tatbestands wäre Gottes Fehlbarkeit bewiesen, was fatalerweise (quasi als Extragimmick) mit der Auflösung aller Existenz einhergehen würde,...
Um zu verhindern das Loki und Bartleby ihr Ziel erreichen, wird Bethany (Linda Fiorentino), auserkoren, dass Erdenheil zu erhalten. Doch selbst mit ihren von Gott gegebenen Verstand, fällt es der Katholikin nicht leicht zu begreifen, warum ausgerechnet sie die Bengelengel aufhalten soll. Ihre Skepsis um die himmlische Mission, lässt sich auf ihr tragisches Schicksal zurück führen. Unfähig eigene Kinder zur Welt zu bringen, verwirkte sich ihr Glaube. Aber wie soll man plausibel Gegenargumentieren, wenn der Metatron (Alan Rickman), ein blasiert auftretendes Sprachrohr Gottes, vom drohenden Weltuntergang schwadroniert? Die Odyssee des Glaubens, vollgestopft mit den frevlerischsten Auseinandersetzungen, über seinen Sinn und Nichtsein, kann beginnen. Glücklicherweise wird Bethany während ihrer Mission auf zahlreichen göttlichen Beistand stoßen. Diesbezüglich wären „Jay“ (Jason Mewes) und „Silent Bob“ (Kevin Smith), zwei Kiffer aus New Jersey, zu benennen. Während Jay als ordinäres Plappermaul sondergleichen auftritt, wird Silent Bob seinen Namen alle Ehre erweisen. Eigentlich wollten sie ja nur „geile Weiber“ aufreißen, dass sie in Wahrheit als Propheten auf göttlichem Kreuzzuge unterwegs sind, hätte ihnen wohl besser Jemand mitteilen sollen,...
Um den Clou von Kevin Smiths Geschichte besser nachvollziehen zu können, ist es nicht unnütz zu erfahren, was ein „Dogma“ bitteschön bedeutet - denn weder befindet sich hinter jenem Begriff eine Sinnesähnelnde noch bezeichnende Gemeinsamkeit - und erfreut sich, auf wissenschaftlicher wie religiöser Ebene (je nach Glaubensrichtung), vielfältiger Einsatzmöglichkeiten.
Das mit dem Dogmen ist nämlich gar nicht so leicht unter einem Hut zu bringen! Als Ansatz lässt sich sagen, das ein Dogma eine Aussage untermauert, welche als fundamental und nicht verhandelbar eingeordnet wird. Womit wir schon einmal wissen, warum sich auf katholischer Seite nicht zwingend über Smiths Machwerk gefreut worden sein dürfte. Doch weiter im Text. Ein Dogma verhilft in der Theologie (der Lehre von Gott), dessen Glaubensbekennern, sich gemeinsam auf einer Ebene zu stellen. Zum Vergleich wäre in der Mathematik von einem gemeinsamen Nenner die Rede. Allerdings taucht hier der Umstand auf, das die Erde sich beständig weiterdreht. Konflikte zogen und ziehen einher, die in diesem Zusammenhang so nicht in der Bibel behandelt werden können - wie auch? Um insofern Zweifelsfrei über die zukünftige Bestimmung eines religiösen Glauben im Hier und Heute diskutieren zu können, sollte über das Vergangene ein Wissenstand vorliegen, welches keinen Kommentars bedarf. „Dogma“ setzt genau an diesen Punkt ein. Kevin Smith stellt zum einen weder die Existenz Gottes in Frage, noch beschneidet er die Bibel. Besser noch: Wenn er auf sie eingeht, erweitert er sie gleich um mehrere Passagen, wie man sie in der Form zuvor kaum bedacht haben dürfte. Darüber hinaus wird die heilige Schrift zu keinem Zeitpunkt verleugnet. Wer nun mit einem religiös/wissenschaftlich aufgezogenen Stoff rechnet, der irrt gewaltig. Smith sittenstrenger Rundumschlag liest nicht nur der Bibel die Leviten, obendrein scheut er sich nicht, gesellschaftliche Reizpunkte zu setzen. Diesbezüglich sei lediglich auf dem Arbeitsplatz Bethanys verwiesen - einer Abtreibungsklinik (wohlgemerkt als Katholikin). Ausnahmslos jede Figur in Dogma stellt eine solche Brüskierung dar,...
Mit ironischen Charme versehen, fungieren jedoch selbst die Unglaublichkeiten eines dreizehnten Apostels - und was dieser zu sagen hat, vielmehr als Dialog, statt sich im Zwist mit seiner Religion auseinander zu setzen. Neben dem findigen Einfall „wie man Gott ein Schnippchen schlägt“, darf man Smith zugute halten, nachwirkend ihr Gedankengut uns nicht vorgekaut zu servieren, sondern als duldsame Alternative anzubieten. Dogmas vielschichtiger Humor trägt mit einem stetigen Lächeln auf den Lippen dazu bei, über dessen, teils wahnwitzigen, teils aber auch raffinierten Zwickattacken hinweg zu schauen. Gleich im Dutzend, erleuchten sie den Glauben von einer Vielzahl Perspektiven aus, was Raum für freie Gedanken ermöglicht. Dogma warnt bestimmend vor blinden Fanatismus, beruft aber auch sehr wohl darauf, sich in Gottes zuversichtlichen Schoß zu legen.
Einen weiteren durchgreifenden Punkt, entspringt seiner ungemein gewalttätigen Darstellung. Wenn Loki und Bartleby dem Vorstand eines Zeichentrickkonzerns beinah durchgehend die Leviten liest, regt sich im Gaumen, hinter den Lachern, ein bitterer Beigeschmack. Mit ungefähr jener Vorgehensweise wurde zu ihrer Schaffensperiode gegen Sündenpfuhls vorgegangen. Und das ist es dann auch. Kevin Smith verweist nicht ausschließlich auf verworfene religiöse Werte, mindestens gleichwertig ruft er unsere moralischen und ethischen Verpflichtungen in unser Gewissen.
Das dabei seine Geschichte auf einem eher lauen Budget inszeniert wurde, fällt kaum ins Gewicht. Oftmals treten die Charaktere nah ans Objektiv heran, um uns ihre Präsenz gewahr werden zu lassen. Zu gern lauscht man ihren Weisheiten, welche witzig befleckt, konkret auf Bigotterie und Halbwahrheiten hindeuten. Jemanden um seinen auszuübenden Part dabei hervorzuheben, verflüchtigt sich umgehend. Ben Affleck und Mat Damon konnten bereits in „Good Will Hunting“ demonstrieren, das sie als Duo prima funktionieren können. Die Krönung setzen jedoch, neben den vielen amüsanten Auftreten, etwa dem von der Muse (Salma Hayek) oder des Apostels (Chris Rock), die Kifferpropheten Jay und Silent Bob auf. Jays Sprücheklopferei ist immer von schmutzigen Gedanken und anderen Schlüpfrigkeiten benetzt. Bobs schweigsame Gutmütigkeit wirkt dem wohltuend als sanfter Katalysator entgegen. Jenes Pärchen durfte bisher in soweit jedem „Smithfilm“ auftauchen. Besonders in Dogma erreicht ihr Spiel eine drollige Symbiose.
Dogmas Botschaft hätte gewiss für mehr Aufsehen gesorgt, als von einigen Zuschauern mit „unchristlichen“ Bewertungen tituliert zu werden. Und wer ganz genau hinschaut, kann sogar feudale Affinitäten zu den bewegenden Reformen eines Martin Luthers erkennen. Doch Obacht! An dieser Stelle sollte gutgehend Sorgfalt walten. Immerhin sind menschliche Entscheidungen fehlbar. Zumindest solange der Papst an sich halten kann.
Quelle:Filmstarts
8,5/10